Millionengeschäfte mit Download-Abmahnungen

Berlin (dpa) - Als Rolf S. eines Tages die Post öffnet, verschlägt es ihm den Atem. In einem Schreiben beschuldigt ihn die Kanzlei U+C aus Regensburg, bei einer Tauschbörse im Netz illegal einen Porno heruntergeladen zu haben.

Nun soll er hohe Anwaltskosten und Schadensersatz bezahlen sowie eine Unterlassungserklärung unterschreiben. „Zum Download-Zeitpunkt waren meine Frau und ich aber auf der Arbeit, unsere Tochter saß in der Schule. Von uns hat niemand irgendwas heruntergeladen“, erzählt der Vater aufgebracht. Fremde kämen nicht infrage - der Netzanschluss sei passwortgesichert.

Rolf S. ist kein Einzelfall. Die Zahl solcher Abmahnungen steigt seit Jahren rasant an, denn mit den Schreiben lassen sich Millionen machen. Experten werfen den Abmahn-Kanzleien und Rechteinhabern darum unseriöse Geschäftemacherei vor: Die Forderungen seien zu hoch, viele Abmahnungen zudem unbegründet. Stellungnahmen gibt es dazu nicht.

Tauschbörsen im Internet wie BitTorrent oder Gnutella gibt es viele. Nutzer können dort beispielsweise Musik, Filme oder Spiele herunterladen, ohne einen Cent zu zahlen. Legal ist das meist nicht, denn die Inhalte sind urheberrechtlich geschützt. Rechteinhaber beauftragen darum Anwaltskanzleien, um juristisch gegen das illegale Treiben vorzugehen. Meistens sind die Betroffenen ahnungslose Eltern, deren minderjähriger Nachwuchs im Internet unterwegs war.

„Wir stellen aber immer öfter fest, dass Abmahnungen auch ungerechtfertigt verschickt werden“, sagt der Hamburger Medienrechtsanwalt Alexander Wachs, der sich seit 2006 mit dem „Abmahnwahn“ - wie er es nennt - beschäftigt. So könne es etwa bei den Ermittlungen der angeblichen Schuldigen zu Fehlern kommen.

Jeder Computer im Netz benötigt eine IP-Adresse - eine Zahlenreihe, über die er gefunden werden kann. Diese Nummer wird einem Rechner zeitweise zugeordnet. Wer im Netz surft, hinterlässt damit einen „digitalen Fingerabdruck“ - auch wenn er sich in den dunklen Ecken des Netzes bewegt. So kann beim Anbieter des Internetanschlusses ermittelt werden, welcher Kunde wann online war.

Für die Herausgabe der Daten ist aber ein Gerichtsbeschluss notwendig, den die Kanzleien beantragen können, erklärt Wachs. Etwa wenn der Verdacht einer Rechtsverletzung gewerblichen Ausmaßes vorliegt - also der Up- und Downloader den Rechteinhabern einen finanziellen Schaden zufügt. Eingehend definiert ist das aber nicht. Kritiker des Verfahrens sprechen deswegen von einem „Freibrief für die Abmahnindustrie“.

Wachs glaubt, dass es bei den Ermittlungen immer wieder zu Falschzuordnungen von IP-Adressen kommt. „Es ist schon komisch, wenn etwa einem Schwerhörigen vorgeworfen wird, Bushido heruntergeladen zu haben, der das aber gar nicht hören kann.“

Überprüfen ließen sich die Vorwürfe meist nicht, kritisiert der Computerspezialist und Gerichtsgutachter Thomas Schmidt. „Eine IP-Adresse bleibt nur etwa 24 Stunden gültig, danach wird eine neue zugeordnet.“ Die alte Nummer könne dann jemand anderes bekommen - Verwechselungen seien möglich. Da die Provider die Daten nicht länger als sieben Tage aufheben dürfen, könne man das Gegenteil später nicht mehr belegen. „Darum sind solche Beweise vor Gericht fragwürdig.“

Die Abmahn-Kanzleien wollen indes an der Methode festhalten. „Die Vorgehensweise der Ermittlungen und die technischen Grundlagen sind den zuständigen Landgerichten bekannt“, sagt ein Sprecher der Kanzlei U+C. „Solange keine konkreten Anhaltspunkte einer fehlerhaften Ermittlung vorliegen, werden wir uns nicht spekulativ äußern.“

Deutsche Provider geben monatlich Benutzerdaten zu rund 300 000 Netzverbindungen weiter, so der Branchenverband Eco. Die Zusammenarbeit gegen Online-Piraten funktioniere zwar auf hohem Niveau. Zweifelhaft sei aber die „extrem harte Linie“. Laut Eco-Vorstand Oliver Süme schießen die Unternehmen oft übers Ziel hinaus. „In den meisten Fällen würde wohl ein Warnbrief reichen.“ Obwohl die Zahl illegaler Downloads zurückgehe, gebe es jedes Jahr mehr Abmahnungen. „Das ist zum Teil exzessiv.“

Das ruft die Verbraucherzentralen auf den Plan. Ob eine IP-Adresse immer zu Recht herausgegeben werde, sei fraglich. Bei der Flut an Auskunftsverfahren hätten die Gerichte nicht die Kapazität, jeden Fall genau zu prüfen, sagt Telekommunikationsexpertin Lina Ehrig vom Bundesverband (VZBV). Viele Anträge würden darum durchgewunken.

„Dass dies auch ein lukratives Geschäftsmodell ist, steht außer Frage“, sagt Medienjurist Wachs. Mehr als 40 Kanzleien mit teils dutzenden Anwälten mahnen in Deutschland im großen Stil ab. Den Vorwurf der „Geschäftemacherei“ wollen viele nicht kommentieren.

Nach Schätzungen des Vereins gegen den Abmahnwahn, der bundesweit Fälle protokolliert, wurden im vergangenen Jahr weit mehr als eine halbe Million Abmahnungen verschickt. Davon sollen mehr als 50 000 auf U+C zurückgehen - ob diese Zahl stimmt, will die Kanzlei aus „wettbewerblichen Gründen“ lieber nicht kommentieren.

„Wir gehen davon aus, dass etwa 25 bis 30 Prozent der Betroffenen zahlen“, erläutert der Vereinsvorsitzende Fred-Olaf Neiße. Danach wären allein 2010 etwa 120 Millionen Euro geflossen.

„Wir kritisieren seit langem die teils enormen Abmahngebühren“, sagt Ehrig vom VZBV. „Dabei ist eigentlich laut Gesetz eine Deckelung von 100 Euro vorgesehen.“ Im Schnitt lägen die Forderungen aber bei 1000 Euro. „Viele sind von den seitenlangen Briefen eingeschüchtert. Zudem wird den Betroffenen eine Ermäßigung angeboten, wenn sie binnen weniger Tage zahlen. Viele überweisen dann vor Schreck.“

Abmahnungen bekommen auch Personen, deren schlecht oder nicht geschützte WLAN-Anschlüsse von Dritten missbraucht wurden. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 2010 haften die Inhaber dieser Zugänge, wenn Fremde darüber illegal Dateien abrufen.

Abgemahnte sollten sich unbedingt Hilfe bei einem Spezialanwalt holen, rät die Verbraucherzentrale. Mit einer modifizierte Unterlassungserklärung lasse sich schon viel erreichen, sagt Jurist Wachs. „Damit räumt man keine Schuld ein, verpflichtet sich aber in Zukunft keine geschützten Inhalte mehr herunterzuladen.“ Oft höre man dann von den Kanzleien nichts mehr - die Forderungen seien plötzlich vergessen. „Das spricht eigentlich für sich.“

Derzeit habe die Abmahnbranche ein „Authentizitätsproblem“. Darum komme es jüngst vermehrt zu Klagen. „Damit soll Druck aufgebaut werden, sonst heißt es schnell: Die machen eh' nichts“, sagt Wachs.

Rechtsexperten sehen bei dem Thema Handlungsbedarf: Zunächst müssten Ermittlungsverfahren vereinheitlicht und die Höhe der Forderungen festgelegt werden. „Längerfristig muss aber das Urheberrecht erneuert werden - da ist die Politik gefragt“, betont der Hamburger Anwalt.

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