Mauerschützen-Spiel steht im Internet

Karlsruhe (dpa) - Kunstvoller Geschichtsunterricht oder geschmacklose Ballerei? Bei der Premiere des umstrittenen Mauerschützen-Computerspiels schlugen die Wogen hoch. Jetzt steht es im Internet.

Die Appelle der Betroffenen verhallen ungehört. Die Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe stellt sich am Freitagabend (10. Dezember) demonstrativ hinter ihren Studenten Jens Stober und sein umstrittenes Computerspiel „1378 km“. Darin wird die Lage an der innerdeutschen Grenze im Jahr 1976 nachgestellt. Die Spieler können entweder in die Rolle von Republikflüchtigen schlüpfen, oder sie werden Grenzsoldaten, die die Flüchtenden ins Visier nehmen. Seit Freitagnacht wird das interaktive 3-D-Spiel kostenlos im Internet angeboten.

„Sprechen Sie mit den Opfern und ändern Sie das Spiel ab“, bittet Rainer Wagner sichtlich bewegt in der Diskussion, die von der Hochschule nach der Präsentation des Spiels angesetzt worden ist. Der Bundesvorsitzende der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) erzählt von seinen eigenen Fluchtversuchen über die Grenze, die zweimal im Gefängnis endeten. „Laden Sie das Spiel nicht ins Internet, und bieten Sie nicht die Möglichkeit an, auf Flüchtlinge zu schießen.“

Doch die Hochschullehrer pochen auf die Freiheit der Kunst. „Das Konzept ist ethisch nicht angreifbar“, sagt Professor Heiner Mühlmann, Lehrbeauftragter für Philosophie und Kulturtheorie. „Man spricht hier von einer dramaturgischen Voreiligkeit: Der Spieler glaubt, beim Schießen auf Flüchtlinge Punkte zu machen, gehört dann aber nicht wie erwartet zu den Gewinnern.“ Professor Michael Bielicky, der den Fachbereich Medienkunst leitet, ergänzt: „Diese Arbeit ist ein Kunstprojekt, und die Kunst hat immer schon versucht, Grenzen zu überschreiten.“

Jens Stober hat „1378 km“ als Ergänzung des bereits existierenden Ego-Shooters „Half Life II“ entwickelt. Maximal 16 Spieler können sich für die Perspektive des Regime-Flüchtlings oder des Grenzsoldaten entscheiden. Als Grenzsoldat können sie dann wählen, ob sie den Flüchtling verhaften, mit ihm fliehen oder auf ihn schießen.

Nach drei Exekutionen wird ein Grenzsoldat allerdings per Zeitreise vor ein Gericht gestellt und muss mehrere Minuten aussetzen. „Wer zu viel schießt, gewinnt nicht“, betont Stober. Er zählt sein Spiel deshalb zu den „Serious Games“, den ernsthaften Spielen, die nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern auch zum Nachdenken anregen.

Bereits im Vorfeld hatte er immer wieder betont, dass er auf diesem Weg seine Generation, die die Zeit des Kalten Krieges nicht mehr erlebt hat, mit der deutsch-deutschen Geschichte konfrontieren will. Die Ernsthaftigkeit des Themas sei ihm durchaus bewusst.

Von 1961 und 1989 versuchten mehr als 100 000 DDR-Bürger die Flucht. Nach Angaben des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung starben 136 Menschen allein an der Berliner Mauer. Die Zahl der Toten an der gesamten Grenze wird auf 270 bis 780 geschätzt.

Diesen Fakten wird das Spiel nach Ansicht der Opferverbände nicht gerecht. „Ich habe die Grenze überwunden, und ich sage Ihnen: Dieses Spiel ist Quatsch. Diese Erfahrung ist sehr prägend für mich gewesen und ich bin enttäuscht, dass daraus ein Spiel gemacht wurde“, meldet sich ein weiterer Zeitzeuge zu Wort. Den Einwurf von Professor Mühlmann, dass auch das Theater heikle Themen aufgreift, will er nicht gelten lassen. Das Spiel habe nichts mit Kunst zu tun.

Das wiederum bringt einen jungen Mann auf. Er wirft den Opferverbänden vor, das Spiel nicht einschätzen zu können. „Wenn ich mich mit etwas auseinandersetze, will ich mir von Ihnen nicht sagen lassen, was gut oder schlecht ist.“

Die ursprüngliche für den Tag der Deutschen Einheit geplante Premiere hatte die Hochschule nach dem weltweiten Medienecho verschoben. Jetzt will Stober nicht länger warten. In den vergangenen Wochen sei eine Kampagne gegen das Spiel losgetreten worden von Menschen, die es nicht einmal gesehen hätten. „Es muss heute erscheinen, damit sich endlich jeder eine Meinung bilden kann.“ Das Spiel will er in den kommenden Wochen nochmals überarbeiten, dabei aber an den Grenzsoldaten festhalten. „Das ist das Fundament des Spiels.“

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