Wie viel Geschlossenheit in einer Partei sein darf

Als Martin Schulz im März bei seiner Wahl zum SPD-Chef 100 Prozent bekam, herrschte erst große Verblüffung, dann Jubel. Aber man ahnte schon, dass da etwas faul sein musste. Solche Geschlossenheit ist im besten Fall Selbsttäuschung, im schlechtesten zugleich auch noch Täuschung der Wähler.

Erst riefen sie „Hosianna“. Und nach der Wahlniederlage „kreuziget ihn“. Es wäre doch besser, auch die eigenen Leute würden ihre Vorsitzenden etwas irdischer betrachten. Dann ist der Sturz nicht so tief. Martin Schulz ist nicht der einzige Fall.

Nachgerade komisch wirkt es, dass Markus Söder von der CSU-Landtagsfraktion gerade „einstimmig“ zum neuen Ministerpräsidenten-Kandidaten gekürt wurde. Nach all den „Schmutzeleien“. Und als Christian Lindner das Scheitern von Jamaika verkündete, fand sich in der ganzen Führungsriege der FDP niemand, in Zahlen Null, der Zweifel an diesem Kurs geäußert hätte. Die genannten Parteien sind Prototypen für das Führungsmodell „Großer Vorsitzender“. Die jeweiligen Chefs treten immer allein zu den Wahlen an, ohne Gegenkandidaten. Sie dürfen auf Parteitagen mehr als eine Stunde dauernde Vorträge halten, die als Höhepunkt der Veranstaltung gelten. Bei Schulz sind die Reden gespickt mit persönlichen Erinnerungen, um die niemand gefragt hat. Bei Lindner mit eloquenten Sprüchen, die ihm selbst am meisten gefallen. Bei Merkels Reden herrscht zwar gepflegte Langeweile, dafür ist sie Kanzlerin. Gemessen wird die Zustimmung dann in der Dauer des Beifalls. Das Ganze erinnert, was die Führungskultur angeht, doch ein wenig an frühere SED-Parteitage.

Grüne, Linke und AfD haben jeweils Doppelspitzen, weil ihre Gründungsflügel hart miteinander konkurrieren. Dass die FDP es anders hält, liegt an der großen Bereitschaft ihrer Mitglieder, jeweils einer Person zu folgen. Dass liberale Freigeister so ticken, ist erstaunlich. Zumal ihre Erfahrungen nicht alle positiv waren. Siehe Westerwelle.

Vielleicht muss man sich in allen Parteien von dem 100-Prozent-Ziel verabschieden, auch in den großen. Schon weil jede von ihnen einen oder gar mehrere Koalitionspartner braucht, um zu regieren. Und weil Basis und Bürger nicht mehr so folgsam sind wie früher. Beteiligung ist angesagt. Auch der Zweifel ist eine Tugend. Schulz sollte froh sein, wenn er am Donnerstag ordentlich Gegenstimmen bekommt. Es würde zeigen: Seine Partei lebt.

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