Warum die Satire alles dürfen sollte

Kurt Tucholsky, Salman Rushdie und falsche Rücksichtnahme

Der Zufall will es, dass am Freitag der 125. Geburtstag von Kurt Tucholsky ist. Des deutschen Journalisten und Schriftstellers also, der 1919 unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel im Berliner Tageblatt auf die Überschrift und Frage seines Artikels „Was darf die Satire?“ die Antwort gab: „Alles.“

Das stimmte im juristischen Sinne 1919 nicht, es stimmt 2015 immer noch nicht — und war von dem Juristen Tucholsky (Titel der Dissertation: „Die Vormerkung aus §1179 BGB und ihre Wirkungen“) auch nicht im juristischen Sinn gemeint. Die Satire bekommt es in Deutschland mit der Justiz zu tun, wo sie zur Schmähkritik wird (also die Diffamierung der Person statt der Kritik an der Sache im Vordergrund steht) oder Religionen so drastisch beschimpft werden, dass dies den öffentlichen Frieden stören könnte (§ 166 StGB).

Anschlag auf Satirezeitschrift erschüttert Frankreich
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Was Tucholsky mit dem „alles dürfen“ meinte, ist eher: „Wir sollten nicht so kleinlich sein. Wir alle — Volksschullehrer und Kaufleute und Professoren und Redakteure und Musiker und Ärzte und Beamte und Frauen und Volksbeauftragte — wir alle haben Fehler und komische Seiten und kleine und große Schwächen. Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren (‚Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!‘), wenn einer wirklich einmal einen guten Witz über uns reißt.“

Die Satire muss sich nicht darum scheren, wenn Muslimen für komische oder kritische Darstellungen Mohammeds schlicht das humoristische Verständnis fehlt. Als „Charlie Hebdo“ 2006 die dänischen Mohammed-Karikaturen abdruckte, sprach ein Gericht das Blatt vom Vorwurf der Beleidigung selbstverständlich frei. Deshalb schmerzt es umso mehr, dass einige Medien in der gestrigen Berichterstattung soweit gingen, die „Charlie-Hebdo“-Karikaturen zu verpixeln (!) oder wie die New York Times mit der Begründung wegzulassen, man zeige kein Material, das „religiöse Sensibilitäten“ zu verletzen beabsichtige.

Der Schriftsteller Salman Rushdie stellte am Donnerstag fest, „Respekt vor Religion“ sei längst zu einem Code mit der Bedeutung „Angst vor Religion“ geworden. Rushdie: „Religionen, wie alle anderen Ideen, verdienen Kritik, Satire, und, ja, unsere furchtlose Respektlosigkeit.“ Deshalb hat Tucholsky recht.

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