Meinung Regierungsbericht - Was gutes Leben ist

Langsam dämmert den Menschen, dass wirtschaftliches Wachstum nicht automatisch auch mehr Lebensqualität bedeutet. Es gibt gutes und schlechtes Wachstum, es gibt Wachstum, das nur wenige erreicht und Wachstum, das vielen schadet.

Wenn zwei Autos zusammenstoßen, ist das Wachstum, denn dann müssen zwei neue gebaut werden.

Deswegen sagt die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts, die von den Statistikern ständig so sorgsam ermittelt und von der Politik wie eine Monstranz hochgehalten wird, auch nichts darüber aus, wie gut es einer Gesellschaft wirklich geht, schon gar nicht dem Einzelnen. Von Glück ganz zu schweigen. Da liegen in internationalen Rankings weniger materiell orientierte Völker weit vor den Deutschen. Es ist deshalb prinzipiell zu begrüßen, dass die Bundesregierung die Bürger mal in Ruhe gefragt hat, was "gutes Leben" für sie ist, um aus den Antworten neue, treffendere Wohlstandskriterien zu entwickeln. Nicht politische Antworten, die bleiben den Parteien überlassen.

Allerdings kann man 303 Foren mit 15.750 Teilnehmern und etlichen Kanzlerin- sowie Ministerauftritten schon als Werbeveranstaltung in eigener Sache bezeichnen. Was die Bürger sich wünschen, wenn sie "Wünsch dir was" spielen dürften, hätte man auch mit weniger Aufwand ermitteln können. Zumal viele Wissenschaftler schon lange an dem Thema arbeiten und auch der Bundestag in einer Enquete-Kommission bereits vier Jahre lang beraten und 2013 ein 844 Seiten (!) dickes Papier darüber geschrieben hat. Nun kommen also noch 240 wenig überraschende Seiten aus dem Kanzleramt dazu. Aber vielleicht höhlt steter Tropfen ja den Stein, und vielleicht ist der von der Bundesregierung nun versprochene regelmäßige Lebensqualitätsbericht so ein Tropfen. Der Stein, das sind wir alle, die wir den Götzen Geld und Geltung hinterherjagen und dafür sehr viel opfern.

Dabei sind zum Beispiel Frieden, flexible Zeiteinteilung, Gesundheit, Wohnen, Bildungschancen, Familie, sozialer Zusammenhalt, Sicherheit und Freiheit das Eigentliche, das zählt. Insgesamt 46 solcher zentralen Indikatoren hat die Regierung identifiziert. Indikatoren kann man messen. Sinkt der CO2-Ausstoß? Steigt das verfügbare Einkommen? Verringert sich die Arbeitslosigkeit? Erhöht sich die Zahl der Kita-Plätze? Und so weiter. Wenn das, wie versprochen, künftig übersichtlich zusammengetragen und alle vier Jahre veröffentlicht wird, kann man etwas besser, sozusagen regierungsamtlich sehen, ob sich die Gesellschaft insgesamt zum Guten hin entwickelt oder nicht. Das liefert dann Argumente für die politische Debatte, ähnlich wie der Armuts- und Reichtumsbericht.

Das oft kritisierte Wirtschaftswachstum übrigens wird auch weiterhin zu den Indikatoren gehören und einer der wichtigsten sein. "Arm aber sexy" finden in Deutschland nur die Berliner erstrebenswert, und selbst die schon länger nicht mehr.

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