Organspende: Menschen sollen über den Tod nachdenken

Der Staat darf uns mit dem Thema Organspende „belästigen“.

Der Familienvater ist vor wenigen Minuten gestorben, der Arzt spricht den Angehörigen sein Beileid aus. Er müsse jetzt allerdings noch eine Frage stellen. Ob sie einer Entnahme der Hornhaut zwecks Organspende zustimmen. Die Familie, eben noch konfrontiert mit einem höchst verstörenden Erlebnis, soll nun auch noch diese Entscheidung treffen.

Das hätte sich vermeiden lassen. Wenn der Verstorbene sie bei Lebzeiten selbst getroffen hätte. Durch ein klares Ja oder Nein zur Organspende. Doch eben dieses Ja oder Nein schieben die Menschen auf. Auf morgen, auf nächsten Monat, auf immer. Weil sie sich nicht mit dem eigenen Tod befassen möchten.

Nun will der Staat sie eben dazu zwingen. Wohlgemerkt: Er zwingt sie nicht, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden, wenn die Post mit dem Informationsmaterial im Briefkasten liegt. Man kann diese Post auch ganz ignorieren. Aber schon die Kontaktaufnahme erscheint manchen als Zumutung. Sie sagen: Lasst mich in Ruhe, ich will nicht mit dem Thema Tod behelligt werden.

Doch es geht nicht nur um den Tod, sondern auch um Perspektiven, die die eigene Entscheidung anderen Menschen bringt, deren Leben man durch eine Organspende verlängern könnte. So wie auch andere durch ihre Organspende mein Leben retten könnten.

Gewiss, indem der Staat via Krankenkassen auf die Menschen mit dem Thema Organspende zugeht, nötigt er ihnen etwas auf. Er zwingt sie, jedenfalls für einen Moment über das Problem nachzudenken, bevor sie die Post vielleicht in den Mülleimer werfen. Diese Aufforderung zum Grübeln ist dem ernsten Thema aber durchaus angemessen.

Andererseits gilt jedoch auch: Die Information, mit der der Staat da um Aufmerksamkeit bittet, muss gründlich sein. Sie muss sich mit den Ängsten der Menschen auseinandersetzen. Mit den durchaus heiklen Fragen des Hirntods als Voraussetzung für die Spende noch funktionstüchtiger Organe. Einem Zustand, in dem Körperfunktionen ja noch aufrechterhalten werden. Wie tot ist man da eigentlich? Sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, ist schwer. Sehr schwer. Aber wer es nicht macht, stiehlt sich aus der Verantwortung — und wälzt das Problem im Zweifel auf überforderte Angehörige ab.

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