Nicht mutig genug, Herr Präsident!

Gaucks erste große Rede zur Europa.

Europa hat keinen gemeinsamen Gründungsmythos wie die Vereinigten Staaten von Amerika als das Land der Freien. Und auch der Bundespräsident hat am Freotag nicht die neue Erzählung Europas, die so viele in der aktuellen Stimmungskrise vermissen, liefern können.

Die gibt es nämlich nicht. Joachim Gauck wollte allerdings wohl, dass diese erste bedeutende Rede seiner Präsidentschaft als große Rede wahrgenommen wird. Dafür freilich war sie nicht mutig genug. Dann hätte er nämlich Klartext reden müssen gegen die, die in der Politik ganz gezielt mit anti-europäischen Ressentiments spielen, — aktuell Silvio Berlusconi, der mit Geldgeschenken und Deutschlandfeindlichkeit gerade Wahlkampf macht.

Der Ausgang der Wahl in Italien kann die Stabilität des gesamten Euro-Raumes wieder gefährden. Ein deutscher Präsident darf sich da behutsam einmischen. Gerade dann gibt er ein Beispiel dafür, dass es inzwischen eine gemeinsame Verantwortung auf dem Kontinent gibt, eine europäische Innenpolitik. Gauck hat diese Chance vertan. So hat das Volk wieder nur einen dieser europäischen Appelle gehört, von denen zwar jedes Wort richtig ist, die aber die Herzen nicht rühren.

Ja, sagt der Präsident, es gibt eine tiefe Vertrauenskrise. Und dann spricht er sich doch wie die meisten Politiker umstandslos für eine weitere Vertiefung der EU aus. Dieser Gedankensprung bleibt für viele Menschen zu abstrakt, zumal Gauck offenlässt, wie diese Vertiefung aussehen soll. Wer um den Brei herumredet, wird keinen Appetit erzeugen, weder so noch so.

Europa, dieses einzigartige Gebilde zwischen Bundesstaat und Staatenbund, muss täglich in der Praxis wachsen. Das fängt bei korrekten Lebensmitteln an, geht über die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und hört beim stabilen Euro nicht auf. Das muss die Leute überzeugen, sie stolz auf ihren Kontinent werden lassen.

Europa braucht Politiker, die bereit sind, diese mühsame Arbeit auf sich zu nehmen. Ebenso wie Bürger, die das auf ihren Ebenen tun, in den Schulen, im Sport, mit Partnergemeinden. Das sind die wahren Schöpfer der europäischen Erzählung. Eine Präsidentenrede kann ihre Arbeit nicht ersetzen, sondern nur unterstützen. Das immerhin hat Gaucks Ansprache getan.

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