Neue Kratzer am Denkmal der Einheit

Autor muss Altkanzler Kohl Tonbänder aushändigen

Kommentar von Peter Lausmann.

Kommentar von Peter Lausmann.

Foto: Nanninga, Bernd (bn)

So unbestritten die historische Bedeutung des Altbundeskanzlers Helmut Kohl ist, so umstritten ist sein Agieren als Privatmann nach der Abwahl. Nicht nur, weil Kohl selbst Historiker ist, weiß er um die Macht des Vermächtnisses. Der heute 84-Jährige hat immer wieder für symbolträchtige Bilder gesorgt, die die Zeit überdauern werden: Das Händehalten mit François Mitterrand an den Gräbern von Verdun ist nur eines davon.

Als Politiker war der Pfälzer bereits eine öffentliche Person, als Kanzler wurde er ein wichtiger Teil deutscher Geschichte. Parteifreunde sprachen ihm bereits im Amt historische Bedeutung zu, Kohl nahm die Ehre gern an. Sein Problem: In Amt und Würden hatte er weitgehend selbst die Deutungshoheit, nach seinem Abgang 1998 und der anschließenden CDU-Spendenaffäre versuchte er, sie durch konsequentes Schweigen und Abschottung zu behalten.

Geschichte wird in der objektiven Prüfung, Kombination und Deutung wichtiger Quellen aufgearbeitet. Die Bänder, auf denen Helmut Kohl rund 630 Stunden seine Motive und Gedanken schildert, sind eine solche Quelle, wie sie selten zu finden ist. Für Historiker wären sie wahrscheinlich, und sei es erst 25 Jahre nach dem Ableben Kohls, eine Goldgrube bei der Analyse jüngster Geschichte. Das will Kohl aber offenbar nicht. Er möchte selbst auswählen, an was sich die Gesellschaft erinnern soll — mutmaßlich an das Denkmal vom Kanzler der Einheit ohne Kratzer.

Kohl mag juristisch im Recht sein. Das Gericht hat den ideellen Wert der Bänder zwar erkannt, diesen aber logischerweise nach rein gesetzlichen Aspekten bewertet. Historisch-gesellschaftliche Kriterien spielten in dem Prozess keine Rolle.

Auf der anderen Seite verweigert Kohl einen Dienst an der Gesellschaft und der Geschichte seines Landes, sollte er verfügen, dass die Bänder dauerhaft unter Verschluss bleiben. Er zahlt dafür bereits jetzt persönlich einen hohen Preis: Seine Sturheit und seine Verweigerungshaltung prägen das Bild das Alt-kanzlers Helmut Kohl. Mit seiner Strategie in der Tonband-Frage hat er dieses Bild zusätzlich gefestigt. Nur er selbst ist in der Lage, es nochmals zu korrigieren. Eine Lösung wäre, die Bänder dem Bundesarchiv zu geben.

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