Koalitionsverhandlungen: Die Rechnung vom Aufschwung auf Pump

Die größte Versuchung in der Politik ist oft genug der Weg des geringsten Widerstands. Angela Merkel und Guido Westerwelle liebäugeln mit diesem Pfad. Sie wollen die Steuern auf Pump senken. Das ist riskant und erklärt den Eklat, den Christian Wulff provoziert hat.

Formal galt die Kritik des Niedersachsen am "finanzpolitischen Blindflug" der FDP. Gemeint ist aber genauso Merkel. Wulff ist auch nicht der einzige Christdemokrat, der so denkt. Was ihn vom Hessen Roland Koch unterscheidet, sind Temperament und Stilfragen, nicht mehr. Intern ließ sich Koch ähnlich vernehmen. Auch Jürgen Rüttgers Hinweis, es werde "nicht nur Wohltaten geben", ist eine Mahnung: Macht euch endlich ehrlich!

Die Kanzlerin will in erster Linie das Wachstum fördern und die Konjunktur nicht durch blindes Sparen abwürgen. International ist sie in bester Gesellschaft. Die Rechnung vom Aufschwung auf Pump ist freilich gewagt. Wenn sie 2010 nicht aufgeht, fallen die Bremsspuren ihrer Politik umso dramatischer aus. Das gehört auch zur Wahrheit. Steuerentlastungen sind ein Fetisch der FDP. Sie werden dann fragwürdig, wenn man im Gegenzug die Sozialabgaben erhöht: mit Zusatzbeiträgen bei Gesundheit oder Pflege, mit höheren Lohnnebenkosten bei der Arbeitslosenversicherung.

Wenn es für Kleinverdiener, Rentner, Arbeitslose nur zum Nullsummenspiel reicht, werden sie die Steuerversprechen als Mogelpackung empfinden. Wenn die Beiträge steigen, werden gerade Branchen mit hohen Arbeitskosten bestraft. Von der Gewinner-und-Verlierer-Rechnung hängt die Akzeptanz des Vorzeigeprojektes der schwarz-gelben Koalition ab. Wie leicht ist im Gegenzug eine Steuerreform auf Pump - auf Kosten künftiger Generationen!

FDP und Union schieben seit einer Woche die unbequemen Entscheidungen vor sicher her. Jürgen Rüttgers liegt richtig, wenn er mahnt, in den nächsten Tagen müsse klar werden, wo gespart, gekürzt, gestrichen werden muss.

Nebenbei zeigt sich, wie viel davon abhängt, wer der nächste Finanzminister sein wird. Auf der einen Seite Wachstumspolitik, auf der anderen Verteilungskonflikte: Er wird einen Expander zwischen den Armen gespannt halten. Und darf nicht loslassen.

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