Gauck: Warten auf die aufrüttelnden Worte

Nach einem guten ersten Jahr ist für Gauck die Schonzeit vorbei

Dieser Präsident hat dem Land gut getan. In seinem ersten Jahr. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung schätzt Joachim Gauck, bei öffentlichen Auftritten schafft er den schweren Spagat zwischen Würde und sympathischer Unverkrampftheit. Und vor allem bietet er kaum Angriffspunkte.

Letzteres ist wichtig nach dem Spektakel um seinen Vorgänger Christian Wulff, der sich durch Ungeschicklichkeiten selbst schadete, aber auch in einer unfairen Kampagne demontiert wurde. Somit war die Hauptaufgabe des neuen Präsidenten klar: das Amt des ersten Mannes im Staate aus den — negativen — Schlagzeilen bringen und ihm wieder die angemessene Souveränität verleihen. Dieses Ziel hat Gauck erreicht.

Sein persönliches Glück dabei ist das Unglück seines Vorgängers Wulff. Mit Richard von Weizsäcker, Roman Herzog oder Johannes Rau als direkten Vorgängern wäre die Öffentlichkeit kritischer mit ihm umgegangen. Aber so verzieh man ihm manchen zu pastoralen Auftritt, die Überstrapazierung des Freiheits-Begriffes oder für einen Präsidenten vorschnelle Urteile zum politischen Tagesgeschäft. Teilweise Anfängerfehler halt, wie er einräumt. Doch die Schonzeit ist nach einem Jahr vorbei. Gauck muss weiterhin lernen, seine Worte gründlich abzuwägen.

Was jetzt auch kommen muss, sind Fingerzeige, die über die Tagespolitik hinausgehen und in den Köpfen der Menschen etwas verändern. Richard von Weizsäcker etwa gelang das am 8. Mai 1985, als er am Jahrestag des Kriegsendes vom „Tag der Befreiung“ sprach. In Deutschland irritierte er viele damit, setzte aber ein Umdenken in Gang. Und im Ausland trug seine Rede viel dazu bei, dass sich das Bild Deutschlands zum Positiven änderte. Ob Gauck Vergleichbares gelingen wird, ist ungewiss. Für die spätere Einordnung seiner Leistung wird das aber entscheidend sein.

Gesellschaftspolitisch hingegen hat der Präsident — wohl eher unabsichtlich — klar Wirkung erzielt. Dank seiner Partnerin Daniela Schadt, mit der er nicht verheiratet ist, sehen die Menschen das Zusammenleben ohne Trauschein sehr unverkrampft. Die Lebensgefährtin beeindruckt durch Klarheit und Offenheit gegenüber Gesprächspartnern. Wobei auch sie davon profitiert, ein Gegenentwurf zu ihrer glamourösen Vorgängerin zu sein.

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