Meinung Die Union darf nicht länger streiten und taktieren

Angela Merkel ist entzaubert. Auf den Wahlplakaten kam die Kanzlerin noch präsidial daher, fast unantastbar. Nun, nach 8,6 Prozentpunkten Verlust, zeigt sich, dass da wenig bis nichts dahinter ist. Und auch vorher nicht war.

Die Union hatte und hat keine Antwort auf die sozialen Probleme, die die Protestwähler in Richtung AfD getrieben haben. Nicht zu steigenden Mieten, zur Arm-Reich-Kluft oder zu verödenden Dörfern. Nicht zu prekären Arbeitsverhältnissen oder Minirenten. Und sie hat keine Antwort auf das Flüchtlings- und Migrationsproblem, das die Rechtspartei für ihre Zwecke instrumentalisiert hat. Beziehungsweise: Hier hat sie zwei Antworten: „Obergrenze“ die CSU, „Wir schaffen das“ die CDU.

Merkel hätte nach der Wahl ungerührt so weiter gemacht. Es ist der panisch gewordenen CSU zu verdanken, dass sie das nicht kann. Allerdings plustert sich die CSU nur auf, markiert den starken Max. Streit gibt es nicht nur um die Flüchtlinge. Sondern auch um Europa, um Volksentscheide und Mütterrente.

Es zeigt sich, dass eine echte Fake-News in diesem Wahlkampf der Begriff „Union“ für die beiden Schwesterparteien war. Morgen beim Spitzentreffen von CDU und CSU muss es Ergebnisse geben. Da muss nachgeholt werden, was vor der Wahl versäumt wurde — das Finden einer wirklichen gemeinsamen Linie. Vielleicht muss die Kanzlerin nun auch mal Härte zeigen und führen. Dem bayrischen Luftballon mit der Nadel drohen. Denn noch ist die CSU nur eine Regionalorganisation und muss sich bei den großen Fragen fügen. Wenn sie das nicht will, muss sie sich halt trennen von der CDU und bundesweit antreten.

Nicht hinnehmbar wäre es jedenfalls, wenn die Unionspolitiker kein Ergebnis erreichten und sich auf ein zweites oder gar drittes Treffen vertagen müssten. Damit machten sie ihr Problem zu dem des Landes. Es sind schon zwei Wochen vergangen, ohne dass die für die Regierungsbildung verantwortlichen Parteien auch nur eine erste Einladung zu Sondierungsgesprächen ausgesprochen hätte. Bei allen Nöten von Horst Seehofer, Deutschland ist nicht nur Bayern und Bayern nicht nur die CSU. Deutschland ist ein großes Industrieland mit einer gewaltigen Verantwortung in Europa. Das kann nicht lange unregiert bleiben.

Noch mögen beide Unionsparteien denken, der Rest der Politik werde schon auf sie warten. Noch mögen sie sich als stärkste Kraft auf der sicheren Seite wähnen. Wenn aber die Regierungsbildung an ihrem Streit und ihren Eitelkeiten scheitert, müssen Neuwahlen auch für Angela Merkel nicht gut ausgehen.

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