Meinung Die Bilanz im Fall Anis Amri ist einfach schlecht

Fast schon reflexartig möchte man Innenminister Ralf Jäger vorwerfen, sich aus der politischen Verantwortung zu winden. Einfach, weil er das schon so oft geschafft hat. Und auch im Fall Anis Amri kann er nach eigener Aussage nichts dafür, dass der Berliner Anschlag letztlich trotz aller Beobachtung und allen Austausches nicht verhindert wurde — seine NRW-Sicherheitsbehörden allerdings auch nicht.

Juliane Kinast

Juliane Kinast

Foto: Judith Michaelis

Das mag sogar stimmen. Gut ist es trotzdem nicht. Die rechtlichen Voraussetzungen für Meldeauflagen oder eine Haft waren nicht erfüllt? Das mag so sein, ist aber schlecht. Die Voraussetzungen für eine Abschiebungsanordnung waren nicht erfüllt? Wieder: schlecht. Überwacht wurde Amri, sobald der noch mal nach NRW kam — aber in Berlin war er nun mal Sache der Berliner Behörden und das ist Föderalismus und da kann man nichts machen? Auch das ist vielleicht richtig, aber wiederum sehr schlecht.

Es bleibt eine Bilanz, die man keinem deutschen Bürger ernsthaft als Erfolg der Zusammenarbeit von Behörden für die Innere Sicherheit verkaufen kann: Ein abgelehnter Asylbewerber, vorbestraft, der trotz Verbots durch die Lande gondelt; der Leistungen erschlichen hat, ohne dafür verfolgt zu werden; der Hass und sogar abstrakt Anschlagspläne äußert; vor dem ausländische Geheimdienste warnen. Und weder wandert er hinter Gitter, noch muss er das Land verlassen. Dafür mag es in der Tat gewichtige rechtliche Gründe geben. Am Ende mögen tatsächlich alle Akteure getan haben, was sie konnten. Aber dann können sie eben nicht genug. Punkt.

Alle Beobachtung und Meldeauflagen hätten einen Terroranschlag durch Anis Amri vermutlich nicht verhindert. Er kaperte einen Lastwagen, raste in eine Menschenmenge. Mehr als ein unbeobachtetes Stündchen war dafür nicht notwendig. Er brauchte keinen ausgeklügelten Plan, kein großes Netzwerk, hätte völlig unter dem Radar bleiben können. Doch er brachte sich selbst in den Fokus der Ermittler — und konnte ihnen dennoch durchgehen. Dass es Lücken gibt, ist also unstreitig.

Es ist jetzt Aufgabe aller zuständigen Sicherheitsbehörden des Landes und der Politik des Landes, gemeinsam zu klären, wo diese Lücken liegen und wie sie geschlossen werden. Eine große Aufgabe. Sich nur auf den NRW-Innenminister einzuschießen, griffe zu kurz. Und das eben wäre einmal mehr sehr schlecht.

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