Meinung Der heimliche Häuptling von Kleinkleckersdorf

Zumindest für den Augenblick entsprechen die ersten beiden Liedzeilen der Wahrheit: „Wir sind auf unser kleines Vaterland stolz, / Denn überall spricht man über seine Kinder“, heißt es übersetzt im „Lied der Wallonen“, der Hymne jener 3,6 Millionen Einwohner zählenden belgischen Provinz von der wirtschaftspolitischen Bedeutung der Walachei, deren Regierungschef Paul Magnette gerade einen Wirtschaftsraum mit 510 Millionen Menschen und knapp 15 Billionen Euro Bruttoinlandsprodukt namens „EU“ als Geisel nimmt.

Meinung: Der heimliche Häuptling von Kleinkleckersdorf
Foto: Schwartz, Anna (as)

Dabei hat Magnette gefühlt die Mehrheit der Deutschen auf seiner Seite, die liebend gern selbst über das Ceta-Abkommen abstimmen würden, um es zu verhindern. Und irgendwie ist es ja verständlich, dass hierzulande der Vorsitzende einer 22-Prozent-Partei auch gern mal eine Mehrheit hätte. Was Sigmar Gabriel als SPD-Chef dazu in Sachen Ceta-Beschädigung seit dem Sommer unternommen hat, ist jedoch verantwortungslos — zumindest so lange man gleichzeitig Wirtschaftsminister der Bundesrepublik Deutschland bleiben will.

Als EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nach dem Brexit-Desaster das Ceta-Abkommen an den nationalen Parlamenten vorbeischleusen wollte, empörte sich Gabriel, das sei „unglaublich töricht“. Sodann ließ Gabriel nicht nur seine eigene Partei über Ceta abstimmen, als ob das außer für seine Restlaufzeit als SPD-Chef irgendeine Bedeutung hätte, und brach ohne EU-Mandat zu eigenen Ceta-Gesprächen nach Kanada auf. Wenn etwas das Etikett Populismus verdient, dann diese durchsichtige Beteiligungs-Simulation, die keinen einzigen Ceta-Kritiker umstimmt.

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) hat recht, wenn er SPD-Chef Gabriel eine Mitschuld an dem Ceta-Debakel gibt. Dass Gabriel seinerseits zurück keilt und dem „neunmalklugen Technokraten“ Oettinger „elitäre Ignoranz“ vorhält, ginge in Ordnung, wenn Gabriel selbst endlich seinen Job machen würde: Europa erklären. Ceta erklären. Sagen, warum internationaler Freihandel einen regionalen Preis hat. Dass es Positives und Negatives gibt — und warum es sich unter dem Strich dennoch lohnt, diesen Preis zu zahlen.

Wer das nicht will oder kann, wer lieber den heimlichen Häuptling von Kleinkleckersdorf gibt, der disqualifiziert sich nicht nur als Bundeswirtschaftsminister, sondern auch als Alternative zur Wir-schaffen-das-Kanzlerin.

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