Meinung Der Anfang vom Ende

Theoretisch ist Angela Merkel nur Kandidatin, theoretisch kann auch jeder andere aus der Bundestagswahl als Kanzler hervorgehen. Weil die SPD aber nur minimale Chancen hat, mit Rot-Rot-Grün eine alternative Mehrheit erringen und auch tatsächlich bilden zu können, bedeutet die gestrige Ankündigung mit großer Wahrscheinlichkeit: Vier weitere Jahre Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Die CDU-Chefin ist auf dem besten Weg länger als Konrad Adenauer zu amtieren und genauso lange wie Helmut Kohl.

In Zeiten wie diesen ist das für Europa und die Welt erst einmal eine gute Nachricht. Die durch Putin, Erdogan, den Brexit und Trump entstandene neue Unübersichtlichkeit wird ja nicht besser, wenn in wenigen Wochen wahrscheinlich Italiens Premier Renzi zurücktreten muss, Österreich einen Rechtspopulisten zum Präsidenten wählt und allmählich dann auch Frankreich in den Präsidentenwahlkampf-Modus schaltet. Merkel hat national wie international einen klaren, berechenbaren Standpunkt.

Sie ist Transatlantikerin und Europäerin durch und durch, sie kann den Nationalismus nicht leiden, ebenso nicht gesellschaftlichen und ökonomischen Stillstand. Sie sucht Bündnisse und meidet außen- wie innenpolitische Konfrontationen, so lange es irgendwie geht. Sie verteidigt den Standpunkt der Menschlichkeit in der Flüchtlingskrise. Und sie handelt ruhig. Das alle ist in einer Welt der Hitzköpfe, Machos, Zyniker und politischen Spieler wertvoller denn je.

Four more years, vier weitere Jahre, wie Anhänger amerikanischer Präsidenten skandieren, ruft anders als noch 2009 und 2013 dennoch jetzt niemand. Im Gegenteil, Merkels vierte Kanzlerkandidatur ist auch eine Kandidatur aus Verlegenheit. Die Union hat niemanden anderen. Wenn in einer Firma keiner der Nachkommen dem Patriarchen Verantwortung abnehmen will, oder wenn es gar keine Nachkommen gibt, dann ist diese Firma bald dem Untergang geweiht.

Die Union ist dieser Situation paradoxerweise genauso so nahe wie der erneuten Bestätigung ihrer Regierungsverantwortung. In einem ganzen Regionalteil der Partei, in der CSU, denkt man bereits wie die Rechten: "Merkel muss weg". Man traut sich nur nicht, daraus eine offizielle Position zu machen, weil man um die Konsequenzen bei der eigenen nächsten Landtagswahl fürchtet. Nicht aus Respekt vor der Kanzlerin. Angela Merkel geht diesmal schwächer denn je ins Rennen.

Und die Frage wird sein, ob sie so überhaupt noch die Impulse setzen kann, die dieses Land braucht. Ob sie noch genug Rückhalt in den eigenen Reihen findet und sich durchsetzen kann, wenn es strittig wird. Wenn Merkel die Wahl gewinnt, wird es eine Kanzlerschaft mit verringerter Autorität sein, die eine fünfte Wiederholung ganz sicher nicht finden wird. So gesehen war die Entscheidung vom Sonntag auch der Anfang vom Ende.

Damit rückt die tragische Seite dieser vierten Kanzlerkandidatur in den Fokus: Den besten Zeitpunkt, um abzudanken, nämlich auf dem Höhepunkt, den hat nun auch Angela Merkel verpasst. Wie Kohl, der schließlich abgewählt wurde, wie Adenauer, den die Union seinerzeit regelrecht aufs Altenteil drängen musste. Merkel hatte es ursprünglich anders machen wollen. Aber wie es so ist: Immer fühlte sie sich gerade unentbehrlich, immer war das Risiko ausgerechnet für die kommende Wahl zu groß.

2021 aber wird es noch schwieriger werden, vor allem für ihre Partei, wenn die noch weitere vier Jahre als "Mutti"-Wahlverein vor sich hindümpelt. Wenn Angela Merkel sich also überlegt, was sie in den nächsten vier Jahren mit sich und ihrer Macht zum Wohle aller noch anstellen kann, sollte "Nachfolger aufbauen und sauberen Abgang planen" ganz oben auf ihrer Aufgabenliste stehen.

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