Meinung Colonia Dignidad: Deutschland hat versagt

Endlich ein Urteil. Gründlich haben sie in der Krefelder Kammer die Gerichtsunterlagen aus Chile geprüft. Man könnte auch sagen: langsam. Wozu die Staatsanwaltschaft ein halbes Jahr benötigt hatte, dauerte am Landgericht sage und schreibe 14 Monate.

Michael Passon, Redaktionsleiter der WZ Krefeld

Michael Passon, Redaktionsleiter der WZ Krefeld

Foto: Jochmann, Dirk (dj)

Wenigstens herrscht jetzt Einigkeit darüber, dass der Sektenarzt Hartmut Hopp zumindest für einen Teil der unfassbaren Verbrechen zwischen 1973 bis 1990 in der Colonia Dignidad nun doch in Deutschland belangt werden kann. Ein Teilerfolg, mehr nicht. Dieses Verfahren kann sich noch über Monate und Jahre schleppen. Hopp wird womöglich bis an sein Lebensende unbehelligt über den Krefelder Wochenmarkt schlendern. Umso wichtiger, dass die Bundesregierung endlich Verantwortung für die Opfer übernimmt.

Um die geht es. Nicht um einen Sektenarzt, der in beispielloser Selbstverleugnung, religiöser Verblendung oder eben von Natur aus skrupel- und gewissenlos, in jedem Fall aber feige vor seiner Strafe davonrennt — und mithilfe eines cleveren Anwaltes die ganze träge Bandbreite deutscher Gesetzgebung ausnutzt. Sicher, es ist schwer zu ertragen, wenn einer Folter, Mord und sexuellen Missbrauch in seiner totalitären, kranken Gemeinschaft einräumt, aber mit dem Finger auf andere zeigt. Und natürlich ist der Gedanke an Hopp, wie er nicht nur straffrei, sondern auch noch im Kreise seiner Glaubensbrüder und -schwestern in der Freien Mission Krefeld eine Art Frieden finden kann, eine Zumutung.

Schlimmer ist jedoch, dass Jahrzehnte vergehen müssen, bis ein deutsches Parlament die Rolle des Auswärtigen Amtes und der Politik seit Gründung der Foltersekte prüfen lässt und sich aktiv um die Opfer kümmern möchte. Der gemeinsame Antrag von SPD, CDU und Grünen ist gleichsam eine Selbstverpflichtung. Immer noch leben etwa 100 Mitglieder der Colonia Dignidad in der heutigen Villa Baviera in Chile, etliche Opfer sind nach Deutschland zurückgekehrt. Deutsche Staatsbürger, meist mittellos, traumatisiert. Im Stich gelassen.

Deutschland hat weggesehen, alle miteinander haben das. Insbesondere die CSU pflegte innige Beziehungen zur Colonia Dignidad. Wem es unter Lebensgefahr gelungen war, bis in die deutsche Botschaft nach Santiago zu flüchten, wurde wieder zurückgeschickt. Eine gruselige Vorstellung und doch die Realität. Deutschland, das nie mehr zu den Tätern gehören wollte, hat hier auf ganzer Linie versagt.

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