Meinung Antisemitismus ist gegen Erinnerungskultur immun

Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus ist in Deutschland klar geregelt: 1996 hat der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar (Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee 1945) als nationalen Gedenktag proklamiert.

Meinung: Antisemitismus ist gegen Erinnerungskultur immun
Foto: Schwartz, Anna (as)

In der der „herausgebildeten Gedenkpraxis“ (so formuliert es der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags) steht eine Plenarveranstaltung im Mittelpunkt.

Einmal pro Amtszeit redet der Bundespräsident zum 27. Januar, sonst prominente Zeitzeugen. „Die Plenarveranstaltung umfasst sodann eine künstlerische Darbietung, d. h. es werden Texte rezitiert bzw. Kompositionen zu Gehör gebracht, deren Autoren Opfer nationalsozialistischer Verfolgung waren und die von hoher Authentizität und Eindrücklichkeit sind“, so der wissenschaftliche Dienst weiter.

In diesem Jahr hat der Bundestag die Gedenkveranstaltung auf den 31. Januar verschoben; samstags hat der Bundestag frei. Die Gedenkrede wird Cellistin Anita Lasker-Wallfisch halten, eine der letzten Überlebenden des „Mädchenorchesters“ von Auschwitz. Man darf annehmen, dass die Veranstaltung im Beisein von Kanzlerin und Bundespräsident dem einst von Roman Herzog intendierten Ziel, sie solle „Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein“ würdig genügen wird — und wie jedes Jahr daran scheitert, „jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“

Denn der Antisemitismus ist gegen die Rituale der Erinnerungskultur immun. NRW verzeichnete 2016 mit 297 antisemitischen Straftaten einen Anstieg um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und jeder, der es wissen will, kann wissen, dass die Dunkelziffer von Volksverhetzung, Propagandadelikten, Sachbeschädigungen, Gewaltdelikte und Bedrohungen weit höher ist. Man muss sich — wie die Düsseldorfer Bezirksregierung — die Ohren mit beiden Händen zuhalten, um zu ignorieren, dass „Jude“ (nicht nur) auf den Schulhöfen der Landeshauptstadt vor allem unter muslimischen Jugendlichen ein gängiges Schimpfwort ist.

Antisemitismus ist keine Erscheinung vom rechten, linken oder muslimischen Rand, er ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wer das nicht wahrhaben und den Kampf nicht aufnehmen will, kann sich sein gut gemeintes Gedenken sparen.

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