Afghanistan: Video ist schwerer Rückschlag für die Nato

Leichenschändung weckt Assoziationen zu Abu Ghoreib.

Der Krieg in Afghanistan ist für die meisten Menschen weit weg. Das gilt in Deutschland genauso wie in den anderen Isaf-Nationen. Anschläge werden als Randnotiz registriert, und wenn ein Soldat sein Leben verliert, flammt reflexartig eine nur kurze Rückzugsdebatte auf.

Das ganze Ausmaß des Grauens wird leider erst durch Bilder fassbar, die aus Privathand in die Öffentlichkeit gelangen. Jetzt sind es 39 abscheuliche Sekunden eines Videos, die in der arabischen Welt mehr Sprengkraft haben dürften als 100 US-Bataillone.

Dass es sich bei der Tat um einen Verstoß gegen internationales Kriegsrecht handelt, ist nur die juristische, marginale Seite der Medaille. Die Täter werden ausfindig gemacht, vor Gericht gestellt und zu langen Haftstrafen verurteilt.

Das war das Procedere nach den Misshandlungen und Erniedrigungen von irakischen Gefangenen im US-Militärgefängnis Abu Ghoreib, und das folgte auf die Bilder von US-Soldaten, die aus Spaß afghanische Zivilisten getötet und mit den Leichen posiert hatten.

Wie ein Mantra verurteilen die USA anschließend das Verhalten ihrer Armee-Angehörigen aufs Schärfste — lernen tun sie daraus jedoch nichts. Dabei hat allein Abu Ghoreib das Bild der freien Welt im gesamten muslimischen Raum nachhaltiger beschädigt als der gesamte Irak-Feldzug.

Auch die aktuelle Tat ist ein schwerer Rückschlag für die Nato, damit werden alle Versuche einer Verständigung mit den Aufständischen torpediert. Die Stimmung in Afghanistan ist schon vor geraumer Zeit umgeschlagen — gegen die Isaf, die mit dem Versprechen gekommen war, Wohlstand und Demokratie zu bringen, aber noch nicht einmal ein Grundmaß an Sicherheit schafft. Die Taliban nehmen so ein Video dankbar auf, um an jeden einzelnen getöteten Zivilisten seit Beginn des Krieges zu erinnern und den Hass auf die „Besatzer“ zu schüren. Das ist die andere Seite der Medaille.

Nicht nur die USA, sondern alle Isaf-Staaten sollten sich zudem fragen, ob sie ihre Soldaten genügend auf die Gewalterfahrung vorbereiten. Todesangst, Gefechte, extreme Lebensumstände — all das ist keine Entschuldigung für menschenverachtende Taten. Aber es ist vielleicht ihr Auslöser. Und sie sollten sich endlich eingestehen: Dieser Krieg ist nicht zu gewinnen.

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