Öffentlich-rechtlicher Rundfunk WDR sendet Nachrichten nicht mehr live

Anfang Juni hat der WDR die Nachrichten vereinheitlicht. Live sind sie nicht mehr, wie jeder hören kann.

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk: WDR sendet Nachrichten nicht mehr live
Foto: dpa

Köln. Wer zur vollen Stunde über die Wellen WDR 2, WDR 3, WDR 4 und WDR 5 surft, hört dort seit zwei Wochen mehr oder weniger wortwörtlich gleiche Nachrichten. Wo sich früher zum Beispiel WDR 2 und 5 in Nachrichten-Auswahl und Länge deutlich unterschieden, sind es nun die gleichen Stimmen und die gleichen Meldungen.

Die Vereinheitlichung, von der 1Live ausgenommen wurde, macht zugleich durch einen deutlichen Zeitversatz hörbar, dass die Nachrichtensprecher beim WDR nicht mehr live auf Sendung sind: Auf der einen Welle ist der Satz fast zu Ende gesprochen, da hat er zur gleichen Zeit auf der anderen Welle noch gar nicht angefangen — das kann bei gleichem Übertragungsweg nicht live aus dem gleichen Studio sein.

Aufgefallen war dies zuerst der Initiative „Fair Radio“, die sich für ein glaubwürdiges Radio engagiert. „Wenn ein Sender behauptet, seine Nachrichten seien live, sie in Wahrheit aber zeitversetzt sendet, dann ist das etwas, was uns bei fair radio beschäftigt. Ganz einfach, weil wir das a) für Betrug am Hörer halten und weil man damit b) der Glaubwürdigkeit des Mediums schadet“, so die Initiative.

Wie Twitter-Antworten verschiedener WDR-Stellen belegen, versuchte der Sender zunächst zu bestreiten, dass die Nachrichten nicht mehr live gesendet werden. „Die Nachrichten sind weiterhin live“, behauptete WDR Presse & Info am 27. Mai. Am 6. Juni behauptete das Team WDR 4: „Natürlich senden wir die Nachrichten live. Es kann aber, je nach Empfangsgerät, zu kurzen Verzögerungen kommen.“ Beides war frei erfunden, wie die WDR-Pressestelle schließlich vor einigen Tagen gegenüber dem Medienjournalisten Stefan Niggemeier auf „uebermedien.de“ einräumte.

Nun hieß es, die Nachrichten würden „aktuell gesprochen und ausgestrahlt“. Aktuell ist aber nicht live: „Das hinter den neuen Nachrichten liegende technische Verfahren ist allerdings sehr aufwendig, so dass wir zum Start der neuen Nachrichten am Wochenende ein zeitliches Buffering von zunächst 60 Sekunden eingebaut haben“, zitiert Niggemeier aus der WDR-Stellungnahme.

Das bedeutet: Wenn der WDR-Sprecher die Nachrichten mit „Es ist 14 Uhr“ beginnt, hat er diesen Satz in Wahrheit um 13.59 gesagt. Dass der WDR die Nachrichten nicht live, sondern aufgezeichnet mit einer Verzögerung von 60 Sekunden sendet, hat Folgen für den Inhalt der Nachrichten. Die am 6. Juni um Punkt 12 Uhr verbreitete Erklärung Joachim Gaucks, nicht mehr für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, schaffte es nicht mehr in die 12-Uhr-Nachrichten, die bereits begonnen hatten.

Die öffentliche Kommunikation des WDR in dieser Sache sei erstaunlich, so Niggemeier: „Man will die Nachrichten nicht live senden, man will aber um jeden Preis darauf beharren, dass sie live sind.“ Und das auch innerhalb der Nachrichten, wie „fair media“ dem WDR mit einem Beispiel aus den Nachrichten auf WDR 5 vom 6. Juni nachweist. Wieder geht es um Gauck, diesmal um die Meldung der Bild-Zeitung, die vorab erfuhr, dass Gauck nicht wieder antritt. „Lässt sich diese Meldung bestätigen?“, fragt der Sprecher — scheinbar — eine Kollegin in Berlin. Laut „Fair Radio“ folgt dann lediglich ein aufgezeichneter O-Ton; das Gespräch wurde simuliert, es soll live klingen, aber das ist es nicht.

Die Reform der WDR-Nachrichten — alles einheitlich, aufgezeichnet gesendet, lediglich in die Klangfarbe der jeweiligen Welle eingepackt — veröffentlichten besorgte WDR-Mitarbeiter anonym schon vor über einem Jahr. Antreiberin des immer stärker formatierten Radios ist Hörfunkdirektorin Valerie Weber, die WDR-Intendant Tom Buhrow vom Privatsender Antenne Bayern holte, um die WDR-Wellen für den Konkurrenz-Kampf mit den NRW-Lokalradios fit zu machen.

Dort herrschen in Sachen Glaubwürdigkeit nicht unbedingt feinere Sitten. Kürzlich wies „Fair Radio“ dem NRW-Mantelprogramm aus Oberhausen nach, dass die Comedy „Anzeigenfalle“ seiner Kunstfigur Elvis Eifel (Jürgen Bangert) eine Irreführung der Hörer ist. Die sollen glauben, Elvis Eifel habe in diversen Zeitungen Kleinanzeigen geschaltet, und wer auf diese hereinfalle, lande bei ihm am Telefon.

Stimmt nicht, wie „Fair Radio“ herausfand und aus der Stellungnahme von Radio NRW zitiert: „Die ,Anzeigenfalle’ ist ein attraktives und konzeptbedingt sehr aufwendiges Telefon-Comedy-Format, das von RTL Radio Center Berlin produziert und erfolgreich bei verschiedenen Radiosendern regional ausproduziert ausgestrahlt wird. Auch wir haben für den NRW-Lokalfunk eine Staffel eingekauft.“ Elvis Eifel spricht Dialoge nach, die zuvor bei RTL gesendet wurden.

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