Warum Keramik zum Megatrend wird
Töpferkurse in der Toskana hin oder her — immer mehr Künstler greifen zum Ton und machen das Material museumstauglich.
Düsseldorf/Leverkusen. Lange war Keramik als reines Kunsthandwerk verschrien, und Künstler ließen ihre Finger vom Ton. Heute aber ist Keramik für viele junge Künstler so selbstverständlich wie Malerei oder klassische Skulptur. Markus Heinzelmann (48), Leiter des Museums Morsbroich in Leverkusen, spürt dem „Megatrend“ schon seit längerer Zeit nach. Ende Mai 2014 zeigt er in einer großen Ausstellung Keramik von Fontana bis Trockel. Im Interview erklärt er Keramik von Picasso bis Rosemarie Trockel.
Herr Heinzelmann, was ist der Grund für die Wiederentdeckung der Keramik?
Markus Heinzelmann: Seit einigen Jahren spielt die Keramik wieder eine riesige Rolle in der Kunst, genauso wie Textil- und teilweise auch Glaskunst. Handwerkliche Techniken also spielen wieder eine Rolle. Keramik und Textilkunst gehören zur Moderne dazu. Das Bauhaus war ein Feld, wo diese Fertigkeiten geübt wurden. Nach 1960 und seit den späten 70er Jahren war das Kunsthandwerk allerdings absolut verpönt. Sie merken, wenn ich das jetzt ausspreche, dann habe ich Hemmungen dabei. Kunsthandwerk war ein negativer Kampfbegriff. Es ging um die Abwehr von reaktionären Tendenzen in der Kunst.
Wer hat die Keramik wieder hoffähig gemacht?
Heinzelmann: Führende Künstler wie Thomas Schütte und Rosemarie Trockel haben schon seit den 80er und 90er Jahren die Keramik wieder in die Bildende Kunst eingeführt - und auch mit innovativen Aspekten versehen.
Für viele junge Künstler ist es heute normal, mit Ton zu arbeiten. Und sie meinen es nicht einmal ironisch.
Heinzelmann: Jüngere Künstler haben nicht mehr diese Berührungsängste. Alte ideologische Barrieren spielen keine Rolle mehr, das öffnet ihren Blick. Jüngere Künstler gehen unvoreingenommen daran. Sie nutzen alte Techniken genauso wie Malerei und klassische Skulptur.
Ist der Trend eine internationale Strömung? Der chinesische Künstler Ai Weiwei stellte Millionen Sonnenblumenkerne aus Porzellan her.
Heinzelmann: Keramik-Kunst ist international. Auf der Biennale in Venedig gab es auch eine riesige Keramikarbeit — ein Sofa, auf dem ein riesiger Keramikmeteorit landete. Das hat sich wunderbar verbunden. Es wurde in den letzten Jahren auch immer wichtiger, unterschiedliche Materialien miteinander zu verbinden.
Wird Keramik-Kunst auch an den Kunstakademien gelehrt?
Heinzelmann: In den 90er Jahren hatte Rosemarie Trockel mit Keramik begonnen. Sie hat durch ihre Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Kunstakademie eine unglaubliche Ausstrahlung auf die jüngere Generation.
Auch Strickbilder verbindet man mit Trockel . . .
Heinzelmann: Bei Trockels Strickbildern sehen wir immer noch eine demonstrative Distanz. Da schwingt noch Ironie mit. Sie hat ja auch kürzlich noch betont, dass sie ihre Hand nie an Wolle gelegt hat, sondern ihre Wollbilder herstellen lässt.
Und Keramik verbindet man mit Töpferkursen in der Toskana . . .
Heinzelmann: Gehen Sie doch mal ins Museum Ludwig (in Köln; Anmerkung der Redaktion.), dort sieht man an einer Stelle Pablos Picassos Keramik kombiniert mit seinen Bildern. Das komplettiert das Bild von Picasso. Er hat massenweise Keramik gemacht. Eines seiner berühmtesten Werke ist der Napf für seinen Hund.
Hat denn der Hund überhaupt jemals daraus gefressen?
Heinzelmann: Ja, hat er.
Und heute ist der Napf im Museum gelandet?
Heinzelmann: Das weiß ich nicht. Picasso hat natürlich auch Teller und Vasen gemacht. Meist war das kunsthandwerkliche Keramik. Aber die wenigsten haben wohl davon gegessen. Der Hund konnte sich darüber keine Gedanken machen. Vielleicht hat da schon Ironie dahintergesteckt. Aber es war in dem Sinne noch keine freie Kunst.
Heute ist die Keramik-Kunst nicht mehr Kunsthandwerk?
Heinzelmann: Schauen Sie sich die Keramik von Lucio Fontana in den 50er Jahren an. Er hat Teller und Vasen gemacht, die sehen nach Kunsthandwerk aus, sind aber wie Leinwände durchlöchert oder mit Schlitzen versehen. Da sieht man eine wunderbare getöpferte Vase und das Wasser würde überall rauslaufen. Das ist schon einen Schritt weiter.