Analyse Formularstreit: Warum Frau „Kunde“ bald Kundin sein darf

Das Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach eine Kundin weiter Kunde bleiben muss, wird an der Verfassung scheitern.

 Der BGH verhandelt über die Klage einer Rentnerin, die erreichen will dass Sparkassen auf ihren Formularen auch die weibliche Form von Kontoinhaber, also Kontoinhaberin, nennen müssen.

Der BGH verhandelt über die Klage einer Rentnerin, die erreichen will dass Sparkassen auf ihren Formularen auch die weibliche Form von Kontoinhaber, also Kontoinhaberin, nennen müssen.

Foto: Uli Deck

Karlsruhe. Die 80-jährige Sparkassen-Kundin Marlies Krämer wird sich am Ende durchsetzen: Das Bundesverfassungsgericht hat den Gesetzgeber im November aufgefordert, offiziell ein drittes Geschlecht einzuführen und geurteilt, ein Geburtenregister, das lediglich „weiblich“ oder „männlich“ vorsehe, verstoße gegen die Verfassung. Es wird Marlies Krämer kaum verweigern, grammatisch korrekt als „Kundin“ statt als „Kunde“ bezeichnet zu werden.

Zur Erinnerung: Sparkassen-Kundin Krämer hatte geklagt, weil die Formulare ihrer Sparkasse ausschließlich männliche Bezeichnungen wie etwa „Kunde“, „Kontoinhaber“, „Einzahler“ oder „Sparer“ enthalten. Das sei rechtens, befand der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, weil auch in zahlreichen Gesetzen „Personenbezeichnungen im Sinne des generischen Maskulinums“ verwendet würden.

Was heißt das? Im Deutschen kann ein Hauptwort grammatisch drei Geschlechter haben: Maskulinum, Femininum, Neutrum. Seit mehr als 40 Jahren streitet die Sprachwissenschaft darum, in welchem Verhältnis die grammatischen Geschlechter (Plural: Genera, Singular: Genus) zur außersprachlichen Kategorie des biologischen Geschlechts (Sexus) stehen, also männlich, weiblich — und neuerdings drittes Geschlecht.

Beispiel: „Der“ Mond ist im deutschen grammatisch männlich. Im Französischen ist der Mond ( la lune) grammatisch weiblich; tatsächlich dürfte der Erdtrabant überhaupt kein biologisches Geschlecht haben. Genus ist also nicht grundsätzlich gleich Sexus.

Was der Bundesgerichtshof verteidigt, ist die Sprachkonvention, im Deutschen immer dann „generisches Maskulinum“ (also die männliche) Bezeichnung zu verwenden, wenn das Geschlecht entweder keine Rolle spielt, oder es sich um gemischte Gruppen handelt. Die feministische Sprachkritik weist darauf hin, dass diese Konvention nicht bloß eine grammatische Übereinkunft ist, sondern ganz konkret Frauen sprachlich benachteiligt. Die überwiegend männlichen Hüter der deutschen Muttersprache weisen das zurück: Genus sei nun einmal nicht Sexus, und im „generische Maskulinum“ seien Frauen halt „mitgemeint“.

Diese Mitgemeint-Sein macht Texte mitunter zu einem spannenden Rätsel — zumindest für Leserinnen. In der Kurzfassung der „Zehn Gebote“ nach dem Katechismus der katholischen Kirche können Frauen in den ersten Geboten (keine anderen Götter neben mir; den Tag des Herrn heiligen; Vater und Mutter ehren etc.) und Verboten (nicht töten; nicht ehebrechen; nicht stehlen) sich durchaus „mitgemeint“ fühlen — bis das neunte Gebot kommt: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau.“ Huch! Gilt das nur für lesbische Frauen? Richtet sich der ganze Dekalog vielleicht doch nicht an Frauen? Sind in Wahrheit wieder nur Männer gemeint?

Um zu zeigen, wie es um die angebliche Geschlechtsneutralität und das Mitgemeint-Sein von Frauen im generischen Maskulinum bestellt ist, hat der Kölner Schauspieler Gerd Buurmann gestern folgende kleine Geschichte bei Facebook veröffentlicht:

„Ein Vater und sein Sohn haben einen schrecklichen Unfall auf einer Autobahn. Der Vater ist sofort tot. Der Sohn jedoch wird lebensgefährlich verletzt in eine nahe gelegene Ambulanz gebracht, wo ein Team von Ärzten sich dem schwer verletzten Jungen annehmen möchte, als plötzlich jemand aus dem Ärzteteam ruft: ,Ich kann ihn nicht operieren. Er ist mein Sohn!’

Wie ist das möglich? Wo der Vater doch tot ist?

Nun, die Antwort ist vollkommen simpel und doch gibt es viele Menschen, die nicht darauf kommen.“

Die Antwort lautet, dass dem generisch maskulinen Team von Ärzten auch die Mutter angehört. Und dass man eben nicht sofort darauf kommt, zeigt, wie es um die angebliche Geschlechtsneutralität generisch maskuliner Bezeichnungen für die mitgemeinten Frauen bestellt ist.

Es ist auch unter Aspekten der Sprachökonomie nicht einleuchtend, wieso der Trick mit dem generischen Maskulinum nur in eine Richtung funktioniert: Warum müssen auf einem Klassenfoto aus 29 Schülerinnen in dem Moment „Schüler“ werden, sobald ein Junge in das Bild tritt. Wieso ist dem Knaben, was sprachlich weit einfacher wäre, nicht zuzumuten, sich in der Bezeichnung „30 Schülerinnen“ einfach „mitgemeint“ zu fühlen? Was spricht gegen ein generisches Femininum — außer der Konvention?

Dass normale Sprachteilnehmer sehr wohl vom Genus auf den Sexus schließen, ersehen Sprachwissenschaftler auch aus Fehler-Tendenzen der gesprochenen Sprache. Sätze, in denen das Mädchen „ihren“ statt richtigerweise „seinen“ (Genus Neutrum) Hut verliert, nehmen im Alltag zu.

Den entscheidenden Hinweis, dass das Bundesverfassungsgericht das Urteil im Sinne von Marlies Krämer noch einmal kippen könnte, hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Urteilsbegründung selbst gegeben: Er verkenne nicht, dass „grammatisch maskuline Personenbezeichnungen, die sich auf jedes natürliche Geschlecht beziehen“, nicht mehr so selbstverständlich „als verallgemeinernd empfunden werden, wie dies noch in der Vergangenheit der Fall gewesen sein mag.“ Dann kann es in Zukunft ja gerechter werden.

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