Wagner-Comic: Des Widerspenstigen Zähmung

Flavia Scuderi und Andreas Völlinger nähern sich in einer Comic-Biografie dem Phänomen Richard Wagner an.

Bayreuth. Die Geschichte des Richard W. ist die Geschichte eines Tausendsassas. Was er nicht alles war, was er nicht alles sein konnte: Komponist zuallererst und Dirigent, Kunsttheoretiker, aber auch Revolutionär und Staatsfeind, Opportunist und Antisemit, Vater, Mentor und Freund, Ehemann, Ehebrecher und Liebhaber, Paranoiker und Verschwender, Egozentriker und Selbstdarsteller.

Klingt übertrieben, ist aber lange nicht alles, sondern nur eine Auswahl der gegensätzlichen Begabungen Richard Wagners, die Andreas Völlinger in seinem Nachwort aufzählt. Als Texter hat sich Völlinger gemeinsam mit der Zeichnerin Flavia Scuderi daran gemacht, dieser umjubelten wie umstrittenen Person mit den vielen Persönlichkeiten durch eine Comic-Biografie näher zu kommen.

Keine kleine Herausforderung, nicht nur wegen des übergroßen Gegenstands mit seinem mächtigen Schatten aus gewaltigem Anspruch und monumentalem Werk, an der zu Scheitern im 200. Jubeljahr nach Wagners Geburt keine Schande wäre. Doch dazu kommt es nicht, auch weil die Comic-Biografie Teil eines crossmedialen Projekts ist, welches dem Buch in zeitgemäßer Aufbereitung die TV-Dokumentation „Wagnerwahn“ (bei Arte ausgestrahlt) und eine App für Smartphones und Tablets zur Seite stellt. Was der Comic als Medium nicht leisten kann, leisten die anderen beiden Medien.

Die Comic-Bio erzählt ihre Wagner-Geschichte als Bilder-Geschichte aus prägnanten Stationen in präzisen Motiven und tritt so dem ausschweifenden Leben knapp und kompakt und der bombastischen Musik kühl entgegen. Scuderi und Völlinger trauen sich, ihren Wagner das erste Mal im Sommer 1848 auftreten zu lassen, im Alter von bereits 35 Jahren. In einem Biergarten schwingt er revolutionäre Reden, einen Fuß auf dem weißen Tischtuch, eine Faust gen Himmel, die Nase auch. Nach der Niederschlagung des Dresdner Maiaufstands muss er, von der Polizei gesucht, in die Schweiz fliehen. Wagner bekommt bald Übung im Fliehen, ob er nun Reißaus nimmt vor seiner Frau Minna nach eine Affäre, vor seinen Gläubigern, vor aufgebrachten Beamten und Bürgern, vor Misserfolgen und Krisen.

Dieses Leben auf der Flucht erfährt in der sehr komprimierten Form eine zusätzliche Beschleunigung, es nimmt Fahrt auf, die Ereignisse überschlagen sich, die Menschen kommen und gehen wie in einem Ohnsorg-Theaterstück: eben noch Semper und Bakunin und die Revolte, nun das Pöbeln gegen die Musikjuden, dann Liszt in Weimar und die „Lohengrin“-Uraufführung, gefolgt vom Umzug auf den Grünen Hügel und der folgenreichen Bekanntschaft mit Hans von Bülows frisch angetrauter Cosima — viele Jahre auf wenigen Seiten.

Es tauchen auch Ludwig II. (etwas länger) oder Nietzsche auf (sehr kurz) auf, „Tristan und Isolde“ oder „Parsifal“, sogar die Besonderheiten des Bayreuther Festspielhauses finden Erwähnung („der mystische Abgrund“) und der Sonderzug mit dem Leichnam von Venedig nach Bayreuth. Das Wichtigste vom Wichtigen, alles auf gerade einmal 40 Seiten nachvollziehbar: eine spektakulär rasante Zeitreise durch 69 Lebensjahre eines deutschen Komponisten.

Der Comic ist auch deshalb gelungen, weil er das Bemühen um die historische Wahrheit anzumerken ist. Völlinger findet die richtige Sprache, Scuderis in kräftigen, gedeckten Farben gehaltene Panels sind sehr detailreich ausgearbeitet unter Berücksichtigung der Originalschauplätze. Allerdings kann und will der historische Realismus beider keine neuen Erkenntnisse, Sichtweisen oder Thesen liefern, er kann und will auch nicht die musikgeschichtliche Bedeutung, die Reformkraft und Wirkmacht Wagners angemessen beschreiben.

Allein Wagner, sein sperriges Leben und Werk, plausibel in so kleine Bilderrahmen und noch kleinere Sprechblasen zwingen zu können, ist Leistung genug. Des Widerspenstigen Zähmung ist geglückt, wenn auch ein Kniff — am Ende dann doch noch Kritik — eher missglückt: Hans von Bülow, Komponist und Dirigent und glühender Wagnerianer, als Erzähler. Zwar wird so die Vergötterung Wagners am Beispiel verdeutlicht und Scuderi und Völlinger gewinnen selbst Distanz zu ihrem Comic-Helden, gleichzeitig wird die subjektive Perspektive von Bülows weitgehend aufgegeben zugunsten einer objektiven Darstellung — wie sie Völlinger und Scuderi bevorzugen.

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