Theater: Das letzte Wort hat der Optimist

„Kopf hoch!“ Karl Kraus’ Untergangstragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ erzählt von der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Theater: Das letzte Wort hat der Optimist
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Salzburg. Wozu dienen Festspiele, wenn sie nichts Außergewöhnliches wagen? Wenn sie nicht Produktionen ermöglichen, die den Rahmen von Stadttheatern sprengen? Ein solches Großprojekt hat sich Salzburg nun mit Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ vorgenommen, die als unaufführbar gelten. Ambitioniert war diese Koproduktion zwischen Salzburg und dem Wiener Burgtheater von Anfang an. Das Konvolut von 800 Seiten, in dem der Wiener Satiriker und Lyriker Kraus ein Figuren-Kabinett aus dem Ersten Weltkrieg paradieren lässt, galt es auf einen Theaterabend zu kürzen.

Der garstige Spott und die beißende Ironie, mit der hier Wiener und Berliner Majestäten ebenso wie Offiziere, Meinungsmacher und „einfache Leut’’ vorgeführt werden, bieten genug Stoff für eine deftige Österreich-Revue. Doch da hatte Regisseur Georg Schmiedleitner abgewunken. Ihm, der erst im Frühjahr für den davongejagten Burgtheater-Chef Matthias Hartmann eingesprungen war, geht es weniger um Milieu und Kolorit von 1914-1918. Vielmehr um existenzielle Probleme der Menschen, denen Militärs und Wissenschaftler durch Massenvernichtungswaffen den Boden unter den Füßen wegzogen.

Wenig zu lachen gibt es folglich während der knapp viereinhalb Stunden im plüschig barocken Landestheater Salzburg. So lange dauert die neue Fassung der „Letzten Tage der Menschheit“. 13 Mimen der ersten Burg-Garde schlüpfen in 56 Rollen und bieten ein wahres Fest an Schauspielkunst, Kabarett, Kabinettstücken und satirischen Couplets. Übertönt werden Kriegsgräuel und Untergang der Donaumonarchie von Militärmärschen und reichlich Tschingderassabum: Auf kreisender Bühne fährt die Blaskapelle rauf und runter, manchmal unterbrochen von Kanonendonner.

Auf kahler Bühne führt Schmiedleitner eine Collage der Kraus’schen Archetypen vor. Die Reihenfolge der Szenen wirkt beliebig, lediglich die Kriegs-chronologie dient als roter Faden. Anfangs ziehen fast alle an einem Strang, übertreffen sich in Vaterlandsliebe, bis dann die Kriegswirklichkeit zu Not, Elend und Hass auf die Monarchen führt. Keifende Hausfrauen, schimpfende Metzger, Lehrer (Elisabeth Orth), die das Kriegs-Einmaleins pauken lassen, deutsche Industrielle, deren Kinder Weltkrieg spielen . . .

Dann schenkt Ludwig Ganghofer in Janker dem deutschen Kaiser (dümmlich naiv: Bernd Birkhahn) ein Kriegsfeuilleton. Kaiser Franz Joseph (urkomisch: Peter Matic) indes fällt vom Sterbebett und singt, dass ihm nichts erspart bleibt. Miniaturen dieser Art erinnern an Volkstheater und Komödienstadl. Zumindest zündet das Tempo in den ersten zweieinhalb Stunden, nach der Pause quälen sich die Szenen und Kraus’ Figurenwelt verblasst. Als Korsett fungieren drei Rollen: die sensationsgierige Kriegsreporterin Alice Schalek, die Kraus zutiefst verachtete (spitzzüngig gespielt von Dörte Lyssewski), der kriegsbejahende Optimist, der meint „Eine große Zeit ist angebrochen“ — mit bleckenden Zähnen gemimt von Gregor Bloéb. Und der ewige Nörgler (temperamentvoll und engagiert: Dietmar König).

Wenn er auch als Mahner und Visionär den Untergang und Horror der Urkatastrophe voraussagte, hat das letzte Wort der Optimist. „Kopf hoch!“ muntert er den Zuschauer auf. Sein Blick fällt dabei auf das Haupt eines getöteten Feindes.

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