So politisch war Steffen Reiches Predigt in der Christmette

Zwei Feiertage lang debattierte die Netzgemeinde über den den Tweet von „Welt“-Chefredakteur Ulf Poschardt. Jetzt wird deutlich, was den Journalisten an der Christmette von Pfarrer Steffen Reiche gestört hat.

 Parteipolitik auf der Kanzel? Der evangelische Pfarrer und frühere SPD-Politiker Steffen Reiche, die Berliner Kirche Nikolassee und „WeltN24“-Chefredakteur Ulf Poschardt (v. l.).

Parteipolitik auf der Kanzel? Der evangelische Pfarrer und frühere SPD-Politiker Steffen Reiche, die Berliner Kirche Nikolassee und „WeltN24“-Chefredakteur Ulf Poschardt (v. l.).

Foto: Fridolin Freudenfett (Peter Kuley)/Wikipedia/dpa

Düsseldorf. Kurz bevor er zum Ende kommt, sagt Pfarrer Steffen Reiche in der Christmette der Berliner Kirche Nikolassee an Heiligabend diese Sätze: „Predigt ist keine Politik! Und darf es auch nicht sein wollen! Aber eben auch nie ohne politische Folgen!“ Dem „WeltN24“-Chefredakteur Ulf Poschardt ist das Gehörte gleichwohl doch zu politisch. Er twittert in der Nacht: „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat hat einen Abend bei den #Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?“

Reiche beginnt mit einem Blick auf die zurückliegenden Adventszeit. In ihr sei vor lauter Weihnachtsmärkten und -feiern kein Platz für Gott gewesen, so wie auch im Bethlehem der Weihnachtsgeschichte kein Platz für Gott gewesen sei. In Jesu Weg von der Krippe bis ans Kreuz sieht er eine Analogie zur Jetztzeit: „Wer unter so misslichen Bedingungen wie in einem Stall geboren wird, bringt es im Leben oft zu nichts. Der Erfolg unseres Lebens und das Ende unseres Lebens ist uns meist schon in die Wiege gelegt.“ Mit Erich Kästners 1928 verfassten „Weihnachtsgedicht, chemisch gereinigt“ („Morgen, Kinder, wird’s nichts geben! Nur wer hat, krieg noch geschenkt.“) läuft sich der einstige Bildungsminister dann warm für seinen politischen Rundumschlag. Donald Trump glaube an den Trickle-down-Effekt, wonach der Wohlstand der Reichen schließlich auch zu den Armen durchsickere. „Aber man muss schon so blöde sein wie dieser Staatsverführer und Trampel, der nicht mal seine Haftcreme für seine x-ten Zähne richtig zu verwenden weiß, um das zu glauben.“ In den USA hätten vor einem Jahr die dümmsten Kälber sich ihren Schlächter selber gewählt, spielt er mit einem Brecht-Zitat.

Reiche zählt zu den „Bad four“ noch Nordkoreas Kim Jong-un, Erdogan und Putin. Und wie er zuvor schon Jesus gegen Mohammed in Stellung gebracht hat („Jesus hat keinen Krieg geführt wie Mohammed“), empört er sich darüber, dass Muslime zwar weltweit gegen Trumps Jerusalem-Entscheidung und Mohammed-Karikaturen protestierten, aber man es nicht ein einziges Mal erlebt habe, „dass die Umma (muslimische Weltgemeinschaft, Red) weltweit aufstand und die schwarzen Fahnen des IS verbrannte und den Islamischen Staat als unislamisch geißelte!“ Papst Franziskus bescheinigt der Protestant Reiche dagegen, aus dem Vatikan eine „Oase des Friedens“ gemacht zu haben.

Das mögen nicht durchgängig Positionen der Jusos und der Grünen Jugend sein, wie Poschardt behauptet. Aber dass sein Tweet von Reiches politischem Statement-Gewitter motiviert war, ist naheliegend. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki haben gestern gleichwohl Kritik an den diesjährigen Weihnachtspredigten zurückgewiesen. Die politischen Aussagen seien biblisch verwurzelt gewesen.

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