Schriftstellerin Juli Zeh: Scharfer Blick aus der Provinz

Die Schriftstellerin Juli Zeh lebt auf dem Dorf und fragt in ihren Büchern, wie eng der Staat den Bürgern zu Leibe rücken darf.

Barnewitz (Havelland). In Porträts wird die Schriftstellerin Juli Zeh manchmal als "Streberin" bezeichnet. Ganz abwegig ist dieser Stempel nicht: Jura-Studium mit Bestnote abgeschlossen, nebenher am Literatur-Institut Leipzig studiert, fürs Debüt "Adler und Engel" gleich den Deutschen Buchpreis erhalten und anschließend ein Dutzend weitere Preise - und dann mischt sie sich auch noch ständig in öffentliche Debatten ein. Die 35-Jährige sagt dagegen: "Mein Leben fühlt sich faul an."

Viele Schriftsteller hätten ja vor dem "klassischen Problem" gestanden, "den Tag vollzukriegen". Deshalb sei auch die Kombination Schriftsteller plus Hund so häufig - weil man mit Hund gezwungen sei, regelmäßig spazieren zu gehen. Da habe man eine klare Aufgabe, außerdem lasse sich im Gehen gut denken. Zeh hat sich dazu gleich noch Katzen, zwei Pferde und ein renovierungsbedürftiges Haus angeschafft.

"Glücklicher und zufriedener wäre ich in einem Jura-Job", glaubt Juli Zeh, "und dann abends noch ein bis zwei Stündchen schreiben." Eine echte Arbeit, bei der der Sinn auf der Hand liegt, davon träume sie manchmal. Richter zum Beispiel. So habe eigentlich auch ihr Lebensentwurf ausgesehen.

Dann aber habe sie gemerkt, dass es ihr an der "nötigen Selbstüberschätzung" fehle. "Die Freiberufler-Existenz ist einfach bequemer." Wirft man nach dieser netten Geschichte einen Blick auf die Fakten, merkt man soggleich, dass Juli Zeh sehr wohl viel arbeitet. Elf Bücher in neun Jahren, plus Theaterstücke und Kurzgeschichten, Essays und Kommentare für Magazine und Zeitungen: Faul sieht anders aus. Seit 2007 lebt sie mit ihrem Freund in Barnewitz, einem Dörfchen im Havelland. Als Schriftstellerin aus Westdeutschland in einem brandenburgischen Dorf - wie geht das? "Gut", sagt Juli Zeh. Das einzige wirkliche Problem sei, dass sie ihre Möhren im Supermarkt kaufe. "Wenn wir die Tüten reintragen, dann schütteln sie nebenan den Kopf. Und später hängen Taschen mit Gemüse aus dem Garten an unserem Zaun."

In ihren Jahren in Leipzig sei sie wesentlich isolierter gewesen. "Und das Flair brauche ich nicht mehr. Ich hänge nicht mehr viel in Kneipen rum, und kein Mensch geht jeden Abend ins Theater." Dass sie im Dorf angekommen ist, merkt man spätestens, als mitten im Gespräch der Nachbar klingelt und wortreich über seinen kaputten Drucker schimpft. Und ein Mahnschreiben habe er bekommen, ob sie da mal gucken könne? Die Juristin verspricht, den Brief zu beantworten - und wegen des Druckers werde sie später den Freund rüberschicken.

Natürlich schreibt sie auch ganz anderes. Zuletzt ist bei Hanser "Angriff auf die Freiheit" erschienen (mit Ilja Trojanow). Und am Samstag wird ihr Theaterstück "Good Morning, Boys and Girls" zum Thema Amoklauf am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt.

Immer wieder hat Juli Zeh auf die Gefahr hingewiesen, die von einem kontrollwütigen Staat ausgeht. Neben zahlreichen Essays auch praktisch: 2008 hat sie beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen den biometrischen Reisepass eingelegt. Die Erfassung von Fingerabdrücken in Pässen sei keine wirksame Maßnahme der Sicherheitspolitik, sondern ein "sinnloser Grundrechtseingriff". Es gibt wenige Autoren, die derart ungeschützt Stellung zu Zeitfragen nehmen - und kaum jemanden in ihrem Alter. "Ich habe zu Anfang auch einfach auf alle Frage geantwortet, ohne mir Gedanken zu machen, dass das jemandem zu politisch sein könnte." Inzwischen habe sie - nach etlichen aggressiven Reaktionen - erkannt, "man muss das dosieren. Jetzt sage ich halt manchmal ein halbes Jahr lang öffentlich gar nichts, dann geht es wieder."

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