Düsseldorfer Schauspielhaus Schauspiel startet mit starkem Spektakel

In Düsseldorf gelingt der Neuanfang im Theaterzelt mit „Gilgamesh“. Roger Vontobel inszeniert mit Wucht, Witz und Sinn für die Stadt.

Düsseldorfer Schauspielhaus: Schauspiel startet mit starkem Spektakel
Foto: Thomas Rabsch

Düsseldorf. An der Kö Nummer 1 hat Wilfried Schulz sein Zelt aufgeschlagen. Das Schauspielhaus des neuen Düsseldorfer Intendanten bleibt bis 2018 geschlossen, denn am Gustaf-Gründgens-Platz wird saniert und gebaut. Mit der ersten Premiere zeigt sich überraschend originell, was der aus Dresden an den Rhein gewechselte Schulz meint, wenn er ankündigt: „Das Theater öffnet sich für die Stadt.“ Mit einem Clou endet „Gilgamesh“, das älteste Epos der Menschheit, das für Düsseldorf einen Neuanfang markiert. Verraten wird an dieser Stelle nichts über den Schluss des Stückes, doch rumsprechen wird es sich schnell, welches Spektakel es noch bis Ende Oktober auf der feinen Einkaufsstraße zu sehen gibt.

Manege statt Bühne, wenig Technik und viel handgemachtes Theater — Hausregisseur Roger Vontobel nimmt die Herausforderung an, die Geschichte des Königs Gilgamesh unter dem nachtblauen Zirkuszelthimmel zu erzählen. Die Zuschauer sitzen im Halbrund nah dran, sehen sich gegenseitig und erleben mit, wie dieser testosteronberauschte Herrscher von Uruk sein Volk tyrannisiert, sich später selbst in der Freundschaft zum Gefährten Enkidu erkennt, über dessen Tod verzweifelt und am Ende erfährt, wofür es sich zu leben lohnt.

Der unsterbliche Gilgamesh (Christian Erdmann), zu zwei Teilen göttlich und nur zu einem Mensch, räkelt sich in lässig schwarzer Kluft mit Glitzerkragen auf Riesenbuchstaben, die für ihn in den Sand gerammt wurden. Mit ein bisschen Fantasie entziffert man ICH. Für seine Potenz braucht es gleich mehrere Körper: Kraftvoll und artistisch, an archaische Volkstänze erinnernd, übersetzen Männer und Frauen in Goldhosen Gilgameshs Allmacht. Der Düsseldorfer Choreograf Takao Baba führt die Truppe an, sie enden — ja, wir sind im Zirkus — in einer menschlichen Pyramide.

Vontobel verbindet Tanz und Theater, sinnlich und geschickt lässt er Enkidu, den die Götter Gilgamesh zur Seite stellen, vor den Augen der Zuschauer entstehen. Wasser rinnt über die Hand des Schauspielers André Kaczmarczyk auf den Boden, aus dem Sand schält sich Takao Baba. Die beiden stellen zusammen einen Mann dar, der unter Tieren aufwuchs und nichts von den Menschen, ihren Tempeln, Träumen und Kriegen weiß. Animalische Kraft verbindet sich mit wacher Aufmerksamkeit und zartem Gefühl. Mit einer List lockt ein Jäger (Florian Lange) Enkidu in die Stadt. Der Kampf mit Gilgamesh führt zu einer leidenschaftlichen Knutscherei der Männer, die sich als Freunde erkennen. Enkidus wilder Teil verschwindet. Das ICH wandelt sich zum DU und leuchtet ganz zum Schluss als URUK auf — als Zeichen für Gemeinschaft.

Gilgamesh ist eine Geschichte, die fast so alt ist wie unsere Zivilisation, die in allen Zeiten auf verschiedene Weise ihren Ausdruck fand. Leicht kann man den Versen folgen, die Raoul Schrott 2001 für das auf Tontafeln und in Keilschrift überlieferte Epos fand. Sie lassen sogar Platz für ein paar alltagssprachliche Witze, die Hauptdarsteller Erdmann locker über die Lippen gehen, ohne dass er seine Glaubwürdigkeit verliert. Wie ein Archäologe unserer Tage gräbt er geschützt von einem kleinen Zelt im Sand nach Wasser, wie ein kleiner Junge formt er mit Eimern Sandhaufen zu einer Burg — die minimalen Mittel in der Manege lassen viele Bilder zu.

Kein Zirkus ohne Kapelle. Bei dem 1977 geborenen Vontobel kommt die Musik von einer Dreier-Kombo um den Gitarristen Daniel Murena. Zum Marsch durch die Wüste spielt er Westernsounds. Postpunk-Klänge zu unverständlichen, englischsprachigen Songs begleiten Gilgamesh und Enkidu auf ihrer Abenteuerreise und der gefeierten Rückkehr. Die Aufführung entzieht sich damit der Kitschgefahr, auch wenn eine Parade der drei Musiker mit geschminkten Totenmasken mexikanischer Folklore schon volkstümlich nah kommt.

Auch wenn Vontobel Menschen aus Matsch entstehen lässt, einen Chor zu einem siebenköpfigen Ungeheuer mit leuchtenden Augen verwandelt und Schuld sich in Schlamm und Farbe Schicht für Schicht auf die Körper legt, verliert man sich nicht in vergangenen Zeiten. Der Zirkus, in dem diese ewig gültige Geschichte erzählt, gespielt, gesungen und getanzt wird, steht auf der Kö Nummer 1. Daran lassen Regisseur und Theater keinen Zweifel.

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