Was Liedzeilen (nicht) erzählen

Verschlafene Hits, Textlücken, kleine und große Skandale: Hinter vielen Rock- und Popsongs verbergen sich schöne Geschichten. Hier einige davon.

Düsseldorf. Paul McCartney wachte morgens mit einer Melodie im Kopf auf. Hatte er sie irgendwo gehört? Nein, sie musste ihm im Schlaf gekommen sein. Er setzte sich ans Klavier und klimperte ein wenig rum. Dann nannte er das Lied „Scrambled Eggs“ (Rühreier).

Erst ein paar Wochen später schrieb er auf einer Autofahrt durch Portugal den richtigen Text: „Yesterday, All My Troubles Seemed So Far Away“. Der Song wurde der meistgespielte Titel aller Zeiten. Und das, obwohl John Lennon das Stück gar nicht mochte, weil er und die anderen Beatles George und Ringo dabei nicht mitspielten.

Keith Richards von den Rolling Stones soll es mit „Satisfaction“ ähnlich gegangen sein. Er saß im Hotelzimmer, spielte ein bisschen auf der Gitarre und ließ ein Tonband mitlaufen. Dann schlief er ein. Als er aufwachte, hörte er sich das Band an und fand darauf 40 Minuten Geschnarche und zwei Minuten Geklimper: Das berühmte Gitarrenriff war geboren.

Nicht ganz so ausgeschlafen war John Phillips (The Mamas & The Papas). Mit seiner ersten Gruppe The Abstracts nahm er eine Platte auf. Der Tag war lang, Phillips müde, er legte sich für ein paar Minütchen aufs Ohr. Weil aber das Studio gebucht und Zeit Geld war, schnappte sich Bandkollege Scott McKenzie das Mikro und sang „San Francisco“. Er wurde berühmt, während John Phillips den Erfolg verschnarchte.

Es gibt großartige Rock- und Popsongs. Und hinter vielen verbirgt sich eine schöne Geschichte. Die beiden Journalisten Günther Fischer und Manfred Prescher haben 172 davon gesammelt und sie in ihrem Buch „Alles klar auf der Andrea Doria“ veröffentlicht.

Manches hat man schon gehört. Zum Beispiel wie die Hardrocker von Deep Purple 1971 nach Montreux reisten, um dort ihr neues Album „Machine Head“ im Casino aufzunehmen. Das aber brannte bei einem Konzert von Frank Zappa am Vorabend ab, weil ein Fan eine Leuchtrakete an die Decke geschossen hatte.

In einer Bar sitzend, sahen Sänger Ian Gillan und seine Jungs die Rauchschwaden über den Genfer See ziehen und schrieben darüber „Smoke On The Water“. Sie mussten kurzerhand umplanen und nahmen ihr Album im Grand Hotel auf. Das stand im Winter leer, die Türen wurden nur für Deep Purple geöffnet: Eines der heißesten Alben der Rockgeschichte wurde in einem eiskalten Hotel eingespielt.

Natürlich gibt es auch große und kleine Skandale. Der NDR etwa nahm Ina Deters „Ich sprüh’s an jede Wand: Neue Männer braucht das Land!“ aus dem Programm, weil man im Text eine „Aufforderung zur Sachbeschädigung“ sah. Sogar eine Strafanzeige stellte die Rundfunkanstalt.

Auch „Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug schien 1982 manchem Sender im Wahlkampf bedenklich. Erst am Tag nach der Kohl-Wahl konnte die Ulkband damit im Fernsehen auftreten.

Im katholischen Irland durfte das Video zu „Losing My Religion“ von R.E.M. nicht gezeigt werden, während der Song in Israel einen neutralen Titel („Oh Life“) bekam. Und im kommunistischen China war er ein geheimes Erkennungszeichen für demokratisch gesinnte Studenten. Dabei geht es in dem Song gar nicht um den Abfall vom Glauben. „Losing My Religion“ ist in den USA eine gängige Redewendung, die nur besagt, dass man verunsichert und fertig mit den Nerven ist.

Verunsichert müssen auch die Kinder des Balladenschreibers Woody Guthrie gewesen sein, als sie nach dem Umzug in ihrer neuen Schule feststellen mussten, dass da jeden Morgen die inoffizielle Hymne der USA „This Land Is Your Land, This Land Is My Land“ gesungen wurde. Alle Mitschüler sangen lauthals, nur sie kannten den Text nicht auswendig — obwohl ihr Vater ihn verfasst hatte.

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