Sturm und Drang liegen hinter ihnen

30 Monate Pause und ein Urlaub in der Wüste machen aus dem dritten Album der Arctic Monkeys ein reifes, raues Werk.

Rücklauf im Zeitraffer: 2006 waren die Arctic Monkeys das Phänomen schlechthin. Im Netz viral verbreitet durch eine unsagbar hartnäckige Anhängerschaft, die die knackig bis wuchtigen Songs des Quartetts wie entfesselt hin und her tauschte.

Der Hype führte zu einem Rekord, von dem seit Oasis niemand mehr dachte, dass er noch einmal eingestellt werden könnte. Denn das Debüt "Whatever People Say I Am, That’s What I’m Not" wurde in Großbritannien mit rund 340000 verkauften Kopien innerhalb nur einer Woche zum schnellstverkauften Erstling aller Zeiten.

Die vier stets teilnahmslos dreinblickenden Milchgesichter aus Sheffield, die mit Pickeln, Fetthaaren und Hühnerbrüsten wirklich jedem Klischee einer drittklassigen Schulaula-Combo entsprachen, hatten es geschafft, sich ohne Marketing zu positionieren. Es waren nur ihre Songs, diese wütenden, drängenden, knalligen Rock-Statements, die sie zur Band der Stunde gemacht hatten.

Mittlerweile ist Ruhe eingekehrt, und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Das zweite Album "Favourite Worst Nightmare", das 2007 direkt hinterhergeschossen wurde, hielt Verkaufszahlen und Kritikerlob zwar auf hohem Niveau, aber schon damals war zu erkennen, dass die Jungs ausgebrannt waren. Abgesehen von der treibenden Single "Brianstorm" gerieten die Songs auf dem Nachfolgewerk eher zu britpoppiger Routine als innovativem Rock-Theater. Eine Pause musste her, eine echte Zäsur, in der die Bandmitglieder erst richtig begriffen, was sie selbst losgetreten hatten.

Dieser Freiraum hat sich gelohnt. "Humbug", das neue, dritte Album, das gestern auf den Markt kam, ist eigentlich der konkrete Gegenentwurf zu dem, was die Arctic Monkeys bislang ausgemacht hat. Musikalisch waltet hier die wohltuende Ernüchterung, alles klingt entschlackt, sogar ein bisschen entschleunigt, und das, obwohl manche Songs davon pesen wie eh und je.

Wenn man dann die Geschichten dazu hört, beispielsweise vom Ausflug der Vier in die kalifornische Wüste zu Josh Homme (Queens Of The Stone Age), der sich den neuen Tracks als Produzent angenommen hat, wird klar, wie es zu dieser hörbaren inneren Einkehr kam. Nur Himmel und Weite sahen sie dort, in Joshua Tree. Kein Horizont, keine Skyline, nichts was einengt, ablenkt oder aufsaugt.

Dass sich ein Reifeprozess vollzog, ist den Arctic Monkeys auch optisch anzusehen. Linkische Teen-Freaks sind sie keine mehr, und das liegt nicht nur daran, dass Alex Turner, Jamie Cook und Nick O’Malley sich in den vergangenen Monaten wallende Hippie-Matten stehen ließen. Man merkt den vier 23- und 24-Jährigen ihre neue Gelassenheit auch deutlich in Gestus und Habitus an.

Dazu passt, dass sie sich nicht in Interpretationsmühlen pressen lassen wollen, obwohl die Texte, mit einem ebenfalls bislang ungeahnten Hang zum epischen Erzählertum, dazu einladen. Freilich: Die Grundthemen Liebe, Lust und Frust sind geblieben. Alex Turner verpackt sie allerdings in kleine, nervenkitzelnde Geschichten, anstatt wie früher seinen Unmut einfach nur herauszubrüllen.

Das ist, dieses Wortspiel muss ausnahmsweise erlaubt sein, alles andere als Humbug. Hier empfehlen sich vier Jungspunde, denen bislang nur unverbrauchter Sturm und Drang zugetraut wurde, für Höheres, Bleibenderes.

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