Sieben Stunden „Ring“ am Teatro Colón - ohne Wagner

Buenos Aires (dpa) - Das Wagner-Wagnis in Buenos Aires ist am Ende doch gelungen. Nachdem die Bayreuther Festspielchefin Katharina Wagner einen Monat vor der Welt-Premiere abgesagt hatte, kam am Mittwoch das ambitionierte Projekt eines siebenstündigen Kompakt-„Rings“ im Teatro Colón auf die Bühne.

Die vier Opern wurden in der von Cord Garber zusammengefassten Version mit einer Starbesetzung um die US-Sopranistin Linda Watson hintereinander aufgeführt.

Die Argentinierin Valentina Carrasco wandelte die von der Wagner-Urenkelin wegen schlechter Probenbedingungen zurückgegebene Regie in ein provokatives Inszenierungskonzept um, mit Anspielungen auf die jüngere argentinische Geschichte. So führte die langjährige Mitarbeiterin der katalanischen Theatergruppe La Fura dels Baus im „Rheingold“ ein Gleichnis des geraubten Edelmetalls mit den in der letzten argentinischen Militärdiktatur entführten Kindern auf.

Die Anspielungen kreuzen verschiedene Zeiten und Ereignisse. Wotan erinnert an den ehemaligen Präsidenten Juan Domingo Perón in seiner Dekadenz als gefallener Gott, Brünnhilde scheint zeitweise in den Falkland-Krieg verwickelt zu sein. Der Nibelungen-Zwerg Mime trinkt Mate-Tee in seiner verkommenen Schmiede. Und der Rhein verschwimmt in einer Szene zum Amazonas-Fluss, mit Bildern von Werner Herzogs abenteuerlichem „Fitzcarraldo“-Schiff. Die musikalischen Übergangspassagen werden auf der Bühne mit stummen Szenen überspielt, die Brücken schlagen, um die Folge in der gekürzten Version verständlicher zu machen.

Bei der langen Aufführung gewann auch das Colón-Orchester eine darstellende Rolle. Ein Kontrabassist massierte sich die ermüdeten Finger während einer Spielpause. In der Loge an der Bühne bewegten sich die Arme der fünf Harfenistinnen in ballettartiger Harmonie.

„Die Walküre“ gewann an szenischer Größe, in „Siegfried“ wurde eine musikalische Steigerung im Duett von Brünnhilde und Siegfried erreicht. Das große Ende der „Götterdämmerung“, nach der langen Operntour, brachte die befreiten Goldkinder wieder auf die Bühne.

Ein Teil des konservativen Colón-Publikums im Parkett reagierte mit Buh-Rufen auf die Regie, aus den Logen kamen Bravos. Carrasco sprach nach der Aufführung von einer „gesunden Reaktion“. Konventioneller Applaus gelangweilter Zuschauer sei ihr viel unangenehmer, sagte sie der dpa.

Einhelliger Applaus erklang für Sänger und Musiker. Linda Watson als Brünnhilde, aber auch Leonid Zakhozhaev als Siegfried, Marion Ammann (Sieglinde), Jukka Rasilainen (Wotan) und Andrew Shore (Alberich) wurden mit anhaltender Begeisterung gefeiert. Der österreichische Dirigent Roberto Paternostro erntete besondere Zustimmung mit seiner monumentalen Leistung, als einziger der gesamten Besetzung die sieben Stunden durchzuhalten und das doppelt besetzte Orchester in der kurzen Probezeit eingespielt zu haben.

Journalisten aus 16 Ländern waren zur Premiere akkreditiert, darunter knapp ein Dutzend deutschsprachiger Medien. Wagner-Fans aus aller Welt saßen in den Logen des über 3000 Sitzplätze zählenden Opernhauses. Die Premiere war zu knapp 90 Prozent ausverkauft, zur zweiten und letzten Aufführung am Freitag wird mit einem vollen Haus gerechnet. Der schlagzeilenträchtige Werdegang der Inszenierung beflügelte den Kartenverkauf, nachdem die für lokale Verhältnisse hohen Preise von bis zu 3000 Pesos (um die 500 Euro) etliche Besucher zuvor abgeschreckt haben dürften.

Zehn Kameras der Deutschen Welle folgten dem Bühnengeschehen. Produziert wird ein 90-minütiger Dokumentarfilm, der im März 2013 im Auslandsfernsehen der DW gesendet werden soll. Die Opernaufzeichnung des Teams um den Wagner-Experten Hans Christoph von Bock soll außerdem zum 200. Geburtstag Wagners (2013) als DVD erscheinen.

Vor dem Colón-Gebäude stehen die Plakate des Kompakt-„Rings“. Großporträts stellen die Verantwortlichen vor, nur eins zeigt ein halbes Gesicht: das der Projekt-Initiatorin Katharina Wagner. Per Mail hatte sie zur Premiere den Musikern aus der Ferne „toi, toi, toi“ gewünscht.

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