Richard Hawley: Wut statt Wehmut

Berlin (dpa) - Der Mann ist wirklich wütend. Wenn Richard Hawley über den härteren, raueren Rocksound seines neuen Albums spricht, kommt schnell die Politik ins Spiel.

„Die sozialen Veränderungen durch die Konservativen in Großbritannien haben meine Musik beeinflusst“, sagt der 45-Jährige, einer der sensibelsten Popsänger seiner Generation und Gitarren-Virtuose ersten Ranges, in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. „Die Tories haben sich als miese Typen erwiesen, als sie Englands Wälder privatisieren wollten. Das hat mich zornig gemacht.“

Mit dem Fast-schon-Punk-Song „Down In The Woods“ nahm Hawley die Stimmung im Land auf. „Dort ist viel Wut - obwohl Engländer ja eigentlich sehr apathisch sein können. Es ist wie bei einem schlafenden Bären, der zu lange gepiesakt wird.“ Wuchtige E-Gitarren, die zeitweise an 70er-Jahre-Bands wie Hawkwind („Silver Machine“) erinnern, pumpende Bässe und treibende Drums prägen den Sound von „Standing At The Sky's Edge“ (Parlophone/EMI), seinem siebten Album in zwölf Jahren. „Ich wollte auch das aggressive Live-Feeling meiner Band einfangen“, erzählt Hawley. „Das Klangbild ist daher wohl recht roh geworden.“

Fast gänzlich verschwunden sind also jene Streicher-Arrangements, die Hawleys Samtstimme auf Album-Hits wie „Cole's Corner“ (2005) und „Lady's Bridge“ (2007), vor allem aber auf dem überwältigend schönen „Truelove's Gutter“ (2009) umschmeichelten. „Ich wollte eine andere Art von Drama - mit meiner Stimme als Instrument mitten in der Musik.“ Am beeindruckendsten gelingt dieses Experiment im dröhnenden Space-Rock von „Leave Your Body Behind You“.

Dass Fans seiner epischen Popsongs mit Fifties- und Sixties-Touch den Schwenk zu einem reduzierten, gitarrenlastigen Sound kritisch sehen könnten, ist Hawley bewusst. „Aber ich muss mich verändern, ich darf nicht stehenbleiben. Alles andere wäre auch unehrlich.“ Zumal wehmütig-nostalgische Hawley-Lieder natürlich nicht völlig fehlen: Der perlende Gitarrenpop von „Seek It“, die prachtvolle Ballade „Don't Stare At The Sun“ oder das unheimliche „The Wood Collier's Grave“ stellen dann doch wieder die grandiose Crooner-Stimme des Arbeiterklassen-Gentleman aus dem nordenglischen Sheffield ins Zentrum.

Hawley hat sich in vielen Jahren als Band-Gitarrist (unter anderem bei Pulp), begehrter Gastmusiker (Paul Weller, Arctic Monkeys, Nancy Sinatra), Top-Produzent und Solokünstler mit hohen Charts-Notierungen und Auszeichnungen eine fast stoische Gelassenheit angeeignet. „Ich bin jetzt Mitte Vierzig und kann mich deswegen glücklich schätzen. In meinem Leben war es oft sehr unwahrscheinlich, dass ich dieses Alter erreiche“, sagt er mit Blick auf frühere Drogen-Abstürze.

Auch deshalb leistete er sich die mehrjährige Auszeit seit dem weltweit gefeierten „Truelove's Gutter“ ohne Bedauern. „Ich habe eine junge Familie. Früher war ich oft selbstsüchtig und nicht wirklich für sie da“, gibt er zu - und lauscht während des Interviews dem Kindergeschrei von draußen hinterher: „Ja, genau davon wollte ich mehr hören.“ Neben den Impulsen aus der britschen Politik war es schließlich auch der Verlust geliebter Menschen, der Hawley dazu brachte, wieder einige sehr persönliche Songtexte zu verfassen. „Ach, kühl erfundene Geschichten kann ich gar nicht erzählen“, sagt er. „Ich glaube sie mir selbst nicht.“

Insofern ist „Standing...“ für Richard Hawley nur teilweise ein Aufbruch zu ganz neuen Ufern. Es ist nicht das Album mit traditioneller britischer Musik, das er noch vor kurzem in sich spürte, als er mit Folk-Altmeistern wie Norma Waterson und Martin Carthy sang. Deren Musik ist für ihn zeitlos - seine eigene trotz ihrer Verweise auf frühere Pop-Epochen eher nicht. „Das behaupten nur Journalisten“, sagt er augenzwinkernd. Ob zeitlos oder nicht - eine großartige Platte, die man in vielen Jahren immer noch gerne hören wird, ist Hawley auch diesmal wieder geglückt.

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