Philharmoniker - Sir Simon Rattle: Diese Berliner bleiben die Berliner!

Sir Simon Rattles monumentale Beethoven-Einspielung.

Berlin. In Berlin dreht sich dieser Tage noch einmal viel um Herbert von Karajan. Zum 100. Geburtstag erinnert eine Reihe von Konzerten an den Groß-Maestro, der die Philharmoniker 34 Jahre lang geleitet und bis in den letzten Winkel der Erde berühmt gemacht hat. Musikalisch gänzlich anders gestrickt als der Schönklangfanatiker, ähnelt Sir Simon Rattle seinem Vorvorgänger doch in seiner Arbeitswut, sprudelnden Produktivität und der medialen Präsenz. Allein die ersten Wochen des neuen Jahres haben es in sich: ein umjubeltes Gastspiel in New York, dann das Tanzprojekt zu "Surrogate Cities" von Heiner Goebbels in der Treptower Arena, das Rattle und das Orchester wie schon bei "Rhythm’ is it" wieder mit Schülern aus sozialen Brennpunkten brillant in Szene setzen. Dann der Beginn der neuen Beethoven-Webern-Reihe. Zwischendurch gab’s in Los Angeles noch schnell einen Grammy für die Einspielung von Brahms’ Deutschem Requiem. Und auf der Berlinale läuft die Doku "Trip to Asia" über die China-Tournee der Philharmoniker 2006. Aufregende Tage.

Nach viel Geraune beweist er: Alles wird sogar noch besser

Musikalisch am spannendsten ist gewiss der Zyklus, in dem Rattle bis Ende April die neun Beethoven-Symphonien mit den Orchesterstücken des klassischen Zwölftöners Anton Webern mixt. Denn wer in Berlin den ganzen Beethoven spielt, lässt sozusagen die Hosen runter. Und Simon Rattle tat das nicht unbekümmert, wie es seinem Naturell entspricht. Schon länger wird in manchem Feuilleton geraunt, die Berliner hätten unter dem Briten ihren einzigartigen "deutschen" Klang eingebüßt, ihren Hochsitz über den "drei großen B" Beethoven, Brahms, Bruckner gleichsam freiwillig geräumt. Was Beethoven angeht, hatte Sir Simon die Skepsis mit seiner Gesamteinspielung mit den Wiener Philharmonikern vor ein paar Jahren genährt: Das klang doch alles arg ruppig und abgemagert. Doch mit seinen Berlinern bewies er jetzt, dass er auch ganz anders kann. Das Auftaktkonzert mit der Zweiten und der Eroica, zwischen denen Weberns kurze Orchester-Variationen nicht mehr als ein Feigenblatt darstellten, erklangen fabelhaft. Rattle gelingt die Versöhnung der modernen Beethoven-Sicht mit ihren flotten Tempi, dem transparentem Klang und der scharfen Rhythmik mit dem kraftvollen, in den Soli herrlich aufblühenden klassischen Sound der Berliner. In der Zweiten lässt er nur drei Bässe und fünf Celli ran - aber was weben die für einen dichten Streicherteppich! Die große Dritte elegant und hell, aber auch mit dem ganzen, berühmten Wumm der Philharmoniker. So bestürzend düster hat man den Trauermarsch kaum je gehört.

"Sind die Berliner noch die Berliner?" ist eine besorgte Kritikerfrage in der Hauptstadt mit verklärtem Blick auf alte Zeiten. Der Gast von außen kann da beruhigen: Ja, das sind sie noch.

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