Paul Potts: Das singende Aschenputtel

Paul Potts ist der einzige „Superstar“, der noch auf großen Bühnen steht – wie jetzt in der Philipshalle.

Düsseldorf. Es ist 22.34 Uhr, als endlich jener Ton erklingt, auf den rund 2500 Menschen in der Philipshalle warten. Nach zweieinhalb Stunden setzt Paul Potts zum finalen "Vincerò!" an, jenem kleinen Wort, dass sinnbildlich die ganze Karriere des 38-Jährigen in einer Achtelnote bündelt. Vom Sieg in jener britischen Talentschau vor über zwei Jahren, über den damit unverhofften Gewinn einer Karriere als Sänger bis zu diesem Abend, als Potts seine rührige Geschichte zum x-ten Mal erzählt und zum xxx-ten Mal jenes "Nessun dorma" in den Saal schickt, alles fokussiert sich in diesem kleinen hohen h.

Wie ein Pawlow’scher Reflex löst dieser Moment spontanen Jubel und Standing Ovations aus. So auch an diesem Abend. Nur trägt den eigentlichen Verdienst daran weder Paul Potts im dunklen Anzug mit Fliege noch die Wiederaufbereitung durch eine Telefonwerbung. Nein, der wahre Held dieser Geschichte ist Giacomo Puccini. Wer weiß, ob ohne dessen Oper "Turandot", der die Arie des Prinzen Kalaf entstammt, Potts Erfolg in der heutigen Form überhaupt zustande gekommen wäre? Oder ob der untersetzte Brite weiterhin Handyverträge verkaufen und nur gelegentlich bei Laien-Opernabenden auftreten würde?

Fakt ist, dass Paul Potts weiterhin auf den internationalen Bühnen steht. Seine mittlerweile zweite CD "Passioné" ist ein Verkaufsschlager. Nicht schlecht für einen Casting-Show-Gewinner, der die sonst übliche Halbwertszeit von wenigen Monaten mithin deutlich überbietet.

Die Magie des Paul Potts verbirgt sich aber weniger in dessen musikalischem Talent, davon bringt er nur ein endliches Maß mit und seine Stimme kennt im Grunde nur den einen dramatischen Ausdruckszustand. Es ist die ebenso alte wie schöne Geschichte vom hässlichen Entlein, das sich in den strahlenden Show-Schwan verwandelt. Nun hat der tapsige Potts diese Wandlung zum Schwan vielleicht optisch noch nicht gänzlich vollendet, aber das Klischee des singenden Aschenputtels bedient er zurzeit wie kein Zweiter.

Hinzu kommt seine unfreiwillige Komik, wenn er sich mit einem windschiefen "Danke sehr schön" für den Applaus bedankt. Und um seine gesanglichen Grenzen weiß er sicherlich auch, folglich beschränkt er sich auf das, was er am besten kann: effektvolle Tenor-Raketen zünden.

Sein Gaststar, die Sängerin Elizabeth Marvelly, verschafft ihm zwischendurch die dazu nötigen Atempausen. Er wählt für das musikalisch unauffällige Programm zielsicher Stücke aus, mit denen er das sprichwörtliche Warten aufs hohe c auf ein Minimum reduziert. Das Paul-Potts-pourri überbrückt die Zeit bis "Nessun dorma" mit Songs wie "Memories", Arien wie "Che Gelida Manina" aus "La Boheme" oder "Core ingrato", bis hin zu Liedern wie "Tristesse" von Frederic Chopin und dem unvermeidlichen Schmachtfetzen "Time to say goodbye" .

Allen gemein ist Potts hölzerne Phrasierung und das viel zu schnelle Tempo, das ihm die Neue Philharmonie Frankfurt mit verzuckertem Klang anliefert. Aber sie bieten ihm unzählige Gelegenheiten, breitbeinig stehend sämtliche Kraftreserven seines gedrungenen Körpers sichtbar zu mobilisieren und jene laut gesungenen Noten jenseits des hohen a herauszuschleudern, die gerne als Messlatte für Talent missverstanden werden. Es ist 22.39 Uhr, als Paul Potts für heute mit seinem Pensum durch ist.

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