London Grammar: Ein Debüt voller intimer Pop-Momente

Was den Klang der Band London Grammar ausmacht? Aufregende Unaufgeregtheit, behutsame Instrumentierung — und die ausladende Stimme von Hannah Reid.

Düsseldorf. Das Internet hat schon viele Geschichten geschrieben. Es hat Karrieren aufgebaut und sie wieder zerstört. Die Arctic Monkeys wurden über das längst angezählte MySpace — auch so eine Geschichte des Internets — bekannt, Deutsch-Rapper Cro veröffentlichte seine Videos anfangs über Youtube, viele Bands sammeln und pflegen ihre Fans in sozialen Netzwerken.

Mit London Grammar ist nun eine weitere Formation hinzugekommen — eine, die dem Internet nicht nur ihren Ruhm, sondern sogar ihr Bestehen verdankt. Als Dan Rothman 2009 Hannah Reid bei Facebook anschrieb, hatte er wohl nicht im Sinn, wenige Jahre später eines der meistbeachteten Debütalben Englands mit ihr zu veröffentlichen. Rothman und Reid waren sich erstmals in einem Studentenwohnheim der Uni Nottingham begegnet; nun sah er sie mit einer Gitarre in der Hand auf ihrem Facebook-Profil.

Ob sie nicht gemeinsam Musik machen wollten? Diese Frage steht am Anfang so ziemlich jeder Bandgründung, doch nicht immer entstehen daraus so spannende Projekte wie London Grammar. Meist verfliegt der Zauber des Anfangs irgendwann — kein Proberaum, keine Ideen, keine Perspektive.

Bei London Grammar verflog gar nichts. Stattdessen kam Dot Major — ganz undigital über einen Hinweis von Freunden — dazu, und die ersten Songs wurden geschrieben.

Am 12. Dezember 2012 schließlich veröffentlichten London Grammar ihren ersten Song „Hey Now“, auf Youtube natürlich. Die Skizze des Liedtextes ist als Foto noch heute auf der Facebook-Chronik der Band zu sehen: ein paar hingekritzelte Zeilen des Leidens. Es war der achte Eintrag der Band überhaupt.

Das Lied eröffnet das Album „If You Wait“ (Universal), das gestern in Deutschland erschien. „Hey Now“ ist ein kleines Stück großer Popmusik und offenbart all das, was London Grammar auszeichnet. Die aufregende Unaufgeregtheit, die behutsame Instrumentierung, warme Intimität und kühle Distanz, mit Bedacht eingesetzte Elektronik und das breite Stimmvolumen Reids, das immer wieder mit dem Florence Welchs (Florence & The Machine) und Annie Lennox’ verglichen wird.

Musikalisch drängen sich Parallelen zu The xx auf. Die gleiche Formation (zwei Männer, eine Frau), die gleiche Tristesse, die gleiche Ruhe. So wurden London Grammar bald auf das Night & Day-Festival von The xx eingeladen. Die Emporkömmlinge aus Nottingham allerdings verzichten in ihren Songs auf den steten Bass, der die meisten Lieder von The xx grundiert.

Eine andere musikalische Querverbindung besteht zum jungen House-Duo Disclosure. Zusammen machten sie den Song „Help Me Loose My Mind“, der gleich in den britischen Charts landete.

Die Texte Hannah Reids sind geprägt vom Weltschmerz einer Heranwachsenden. „Yeah, I might seem so strong / Yeah, I might speak so long / I’ve never been so wrong“ („Es mag den Anschein haben, als sei ich stark / Ich mag viel reden / Doch fühlte ich mich nie so falsch“) singt Reid in „Strong“, das in England gar auf Platz 16 der Single-Charts landete. „Metal & Dust“ beschreibt den qualvollen Weg einer scheiternden Partnerschaft — von Lust und Vertrauen hin zur bröckelnden Liebe.

„Wasting My Young Years“ („Verschwendung meiner Jugend“) schrieb Reid über ihren Ex-Freund. Es sind persönliche Geschichten, die Hannah Reid teils flehend, teils aufbegehrend erzählt.

Abzuwarten bleibt, in welchem Tonfall das Internet die Geschichte London Grammars weiter erzählt. Es ist anzunehmen, dass es eine Erfolgsgeschichte wird.

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