Kettcar: „Nicht jeden jugendlichen Quatsch mitmachen“

Berlin (dpa) - „Wir wollen Songs machen, die berühren, ohne den Intellekt zu beleidigen“ - so beschreibt Sänger Marcus Wiebusch (43) die Musik seiner Band Kettcar. Jetzt ist mit „Zwischen den Runden“ das vierte Album der Hamburger erschienen.

Die Nachrichtenagentur dpa sprach mit Wiebusch und Bassist Reimer Bustorff über die neue Platte, kotzende Freundinnen und die Herausforderung, in Würde auf der Bühne zu altern.

Seit dem letzten, sehr düsteren Album „Sylt“ sind vier Jahre vergangen. Was können die Fans von Ihrer vierten Platte erwarten?

Marcus Wiebusch: „Wir hatten uns vorgenommen, ein etwas hoffnungsvolleres Album zu machen. Wir haben ein - wie ich finde - sehr heterogenes Werk abgeliefert, was sehr sehr düstere aber auch sehr sehr helle Songs beinhaltet. Wir wollten mit größtmöglicher Offenheit an das Album herangehen und jede Facette zulassen - ob Streicher, Bläser oder Elektro.“

Erstmals hat auch Bassist Reimer Bustorff Texte geschrieben und fünf der insgesamt zwölf Songs beigesteuert. Für den Hörer ist es nur schwer möglich zu unterscheiden, welche Lieder von wem sind.

Reimer Bustorff: „Ich versuche gar nicht bewusst, Marcus' Sprache aufzugreifen. Das ergibt sich automatisch, ich habe sie adaptiert im Laufe der Zeit. Wir kennen uns ja schon ewig und sprechen einfach eine gemeinsame Sprache.“

Marcus Wiebusch: „Wir sind uns sehr sehr einig, wie deutschsprachige Songs funktionieren, darum kann man sie nicht unterscheiden. Es gibt zwei Arten von Musik: Musik, die beeindrucken und Musik, die berühren will. Wir wollen Songs machen, die berühren, ohne den Intellekt zu beleidigen, und die das Leben der Leute bereichern. Ob uns das gelingt, das entscheiden dann die Hörer.“

In „Zwischen den Runden“ erzählen Sie wieder sehr eindringlich von Begebenheiten aus dem Alltagsleben. Wie viel persönliche Erfahrung steckt in den Songs?

Marcus Wiebusch: „Autobiografisch ist kaum etwas. Das finden wir auch Quatsch. Wir lassen uns von der Realität nicht eine gute Geschichte versauen. Ich weiß gar nicht, wie uns die Alltagsgeschichten anspringen. Aber wenn wir zum Beispiel einen Song wie "Rettung" haben, der eigentlich ein Liebeslied ist, in dem es nicht darum geht, was man empfindet, sondern das, was man tatsächlich praktisch tut, dann komm ich irgendwie auf diese kotzende Freundin, der du die Brocken aus dem Haar pulst. Keine Ahnung, woher das kommt“

Vor zehn Jahren haben Sie Ihr Plattenlabel Grand Hotel van Cleef quasi aus der Not heraus gegründet. Wie kam es dazu?

Reimer Bustorff: „Als wir 2002 das Kettcar-Debüt fertig in der Hand hielten, wollten wir uns eigentlich genau von dem Business-Kram freihalten. Wir wollten Künstler sein, Musik machen, Songs schreiben. Aber wir haben keine Plattenfirma gefunden. Wir waren damals eng befreundet mit Thees Uhlmann von Tomte, der stand fast vor der selben Problematik. Dann kam die Idee, unsere Platten selbst herauszubringen. Und heute stehen wir hier mit der Plattenfirma, mit der Band, und es funktioniert irgendwie immer noch alles.“

Von manchen Plattenfirmen wurden Sie wohl auch deshalb abgelehnt, weil Sie mit damals Anfang 30 als zu alt galten. Wie kann man in Würde auf der Bühne altern?

Marcus Wiebusch: „Ich frag mich natürlich schon auch, ob ich mit 50 "Landungsbrücken raus" oder Songs wie "Ausgetrunken" spielen will. Unsere Streichertour mit bestuhlten Konzerten war vielleicht auch Ausdruck dessen, dass man auch was Anderes, etwas "Älteres" machen kann. Dass wir jetzt wieder ruhigere Songs machen, bedeutet aber nicht, dass wir älter und gesetzter geworden sind, vielleicht wird das nächste Album wieder viel heftiger. Aber wir machen uns schon Gedanken, wie wir einen Weg finden, der sich dadurch auszeichnet, dass wir glaubwürdig sind und nicht jeden jugendlichen Quatsch mitmachen.“

Interview: Jenny Tobien, dpa

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