Gemischte Reaktionen auf „Parsifal“ in Berlin

Berlin (dpa) - Jesus am Kreuz, die klaffende Wunde und das Blut, das sich in der Schale sammelt - kaum hat sich bei „Parsifal“ der Vorhang geöffnet, werden die Zuschauer mit einer Urszene des Christentums überwältigt.

Der Regisseur Philipp Stölzl stellt die römische Lanze und den Gralskelch als zentrale Requisiten in Richard Wagners „Bühnenweihfestspiel“ an den Anfang. Parsifals Sinnsuche wird an der Deutschen Oper Berlin zur Gratwanderung zwischen religiösem Wahn und menschelnder Gefühligkeit.

Die Neuproduktion mit Startenor Klaus Florian Vogt in der Titelrolle löste am Sonntag gemischte Reaktionen aus. Stölzl, der vom Film kommt und dort mit Videoclips für Madonna und Rammstein sowie Streifen wie „Nordwand“ und „Goethe“ das Regiehandwerk gelernt hat, erzählt aus der Kraft starker Bilder heraus. Gerade hat der 45-Jährige den „Medicus“ abgedreht.

Nachdem Stölzl vor zwei Jahren am selben Haus Wagners „Rienzi“ auf den Obersalzberg versetzte, kehrt er nun in die Bergwelt zurück. Fast fünf Stunden lang geißeln sich die Gralsritter zwischen den Steinen, kämpft Tenor Vogt mit seinem Schwert in Zeitlupe gegen den Magier Klingsor (Thomas Jesatko) und seine Verführerinnen. Wenn der Gralsritter Gurnemanz (Matti Salminen) die Vorgeschichte um den Ritter Titurel (Albert Pesendorfer) erzählt, der von den Engeln Lanze und Kelch als Heiligtümer erhält, werden wie im Film Rückblenden dazwischengesetzt.

Stölzl, der mit Conrad Moritz das Bühnenbild entworfen hat, lässt die Welt der Gralsleute von Neonröhren beleuchten wie ein Parkhaus im Untergeschoss. In dieser Welt der Frommen und Flagellanten erscheint Parsifal in Anzug und Krawatte als Wesen aus einer anderen Zeit. Er staunt über diese seltsamen Menschen, die eine Lanze anbeten und sich vor einem goldenen Becher niederknien. Parsifal als Unwissender aus der religionsfernen Gegenwart - vielleicht der beste Einfall an diesem Abend.

Auch die Versuchungen, die sich der „reine Tor“ aussetzt, muten ziemlich diesseitig an. Die Blumenmädchen erinnern an Gauguin-Frauengestalten aus der Südsee, Klingsor haust in einem Maya-Tempel, wo er Menschenopfer vollbringt. Und auch im letzten Bild, als der dahinsiechende Gralshüter Amfortas (Thomas Johannes Meyer) von seiner tödlichen Wunde erlöst wird, erscheinen die Gralsleute wie Überlebende einer Apokalypse.

Stölzl spürt mit seiner Deutung des „Parsifal“ der Mythenwelt der Religionen nach, er blickt auf die Kreuzritter wie ein Ethnologe, wie er vor der Premiere erklärt hatte. Keuschheit gegen Lüsternheit, Glaube gegen Genuss: Parsifal soll die Menschheit von diesem Dilemma erlösen. Die Geschichte aus dem Mittealter steht wie kein anderes für Richard Wagners (1813-1883) Kunstreligion, das nur im allerheiligsten Bayreuth aufgeführt werden sollte. Die Inszenierung bleibt angesichts der Bilderflut Wagners Gedankenwelt fern, aus Teilen des Publikums kommen Buhrufe.

Ungeteilt ist dagegen der Zuspruch für die Sänger. Klaus Florian Vogt, der an der Deutschen Oper bereits als Lohengrin große Erfolge feierte, meistert die Partie mit glockenklarem, sauberen Tenor, die Rolle des namenlosen Unschuldwesens ist für ihn wie geschaffen. Der 67-jährige Matti Salminen behauptet sich als Gurnemanz mit seinem kräftigen Bass. Doch erst Evelyn Herlitzius als Magierin Kundry, zwischen Glaubenslast und Liebeslust hin- und hergerissen, vermittelt trotz überreizter Stimme etwas von den allzumenschlichen Sehnsüchten in dieser Welt der Glaubensfanatiker.

Publikumsliebling ist aber Generalmusikdirektor Donald Runnicles. Unter dem Briten findet nach Jahren der Krise das Orchester wieder zu alter Stärke zurück. Zum 100. Geburtstag hat sich die Deutsche Oper im Wettstreit der Berliner Opernhäuser zurückgemeldet.

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