Erwin Schrott: „Musik macht alles besser“

Der Bassbariton Erwin Schrott über leidenschaftlichen Tango, das Leben unter einer Diktatur und das Gute am Heimweh.

Düsseldorf. Der Bassbariton Erwin Schrott ist auf den Opernbühnen der Welt zuhause. Doch nun präsentiert der 40-Jährige mit dem Programm „Rojotango“ (roter Tango) eine kleinere Form und die Musik, mit der er in Montevideo aufgewachsen ist: „Diese Musik ist leidenschaftlich, man kann sie nur lieben oder hassen. Es ist wie bei der Oper — es ist so herzzerreißend, dass man nicht unbeteiligt bleiben kann.“

Herr Schrott, wo liegt für Sie der Unterschied zwischen Oper und Tango?

Erwin Schrott: Gar nicht mal im Inhalt, sondern vor allem in der Länge. Beide drücken starke Gefühle aus — Liebe, Hass, Trauer, Lust, Rache — eine Oper oder ein Tangosong ist nie lauwarm. Nur: Eine Oper dauert drei Stunden, beim Tango ist nach drei Minuten alles vorbei.

Tanzen Sie auch gern?

Schrott: Natürlich! Ich wollte als Kind Balletttänzer werden. Ich hätte der uruguayische Nurejew werden können, aber dann habe ich mich entschlossen, Sänger zu werden.

Ihr Name weist auf Ihre deutsch-österreichischen Vorfahren hin. Was wissen Sie von Ihnen?

Schrott: Leider wenig. Viele Dokumente sind während der Diktatur in Uruguay verloren gegangen, so dass es kaum möglich ist, die Spuren unserer Familie zurückzuverfolgen. Das ist wirklich schade.

Hat Ihre Familie unter der Militärdiktatur von 1973 bis 1985 gelitten?

Schrott: Wie jeder andere auch, wir alle haben unter der Diktatur gelitten. Unter einer Diktatur zu leben heißt: Alles, was du hast, kann dir in jedem Moment ohne Erklärung genommen werden. Es ist, als ob der Feind ständig auf deiner Schwelle sitzt und deine Welt bestimmt. Du versuchst, ein unauffälliges Leben zu führen, aber auch das klappt nicht, weil selbst die normalsten Dinge, wie von der Schule nach Hause zu gehen, gefährlich sein könnten.

War Klassik immer Ihre Lieblingsrichtung, auch als Teenager?

Schrott: So eng sehe ich das nicht. Ich habe immer alles gehört. Ich glaube, dass jede Musik ihre Würde hat, von der populären Musik bis zu der, die manche Leute als elitär bezeichnen. Dabei kann Musik gar nicht elitär sein. Sie kennt keine Grenzen, keine Hierarchie, keine sozialen Klassen. Entweder du magst sie oder nicht — so einfach ist das. Wenn du wirklich ernsthaft Musik hörst, singst, spielst, dann hörst du irgendwann auf, Etiketten draufzukleben.

Sie haben einen kleinen Sohn mit Anna Netrebko und eine 14-jährige Tochter, die in Uruguay lebt. Haben sie Ihr musikalisches Talent geerbt?

Schrott: Meine beiden Kinder mögen Musik sehr. Das macht mich glücklich, denn ich weiß: Wenn sie mal härtere Zeiten erleben, kann Musik das Leben immer ein bisschen versüßen. Sie macht alles besser, so ist das bei mir auch.

Als Bariton spielen Sie in Opern meist den Bösewicht. Mögen Sie das?

Schrott: Klar, ist doch cool, auf der Bühne der knallharte Typ zu sein — und therapeutisch ist das außerdem. Du musst die dunkle, böse Seite des Menschen erforschen, ohne tatsächlich böse zu sein. Es ist ein interessanter Aspekt meines Berufs. Manchmal denke ich, wir sind eigentlich singende Anthropologen.

Sie sind derzeit mit dem Tango-Programm unterwegs, haben aber auch Engagements von London bis Los Angeles. Schaffen Sie es, ein normales Leben zu führen?

Schrott: Es ist mein Job, und ich kann mich glücklich schätzen, dass ich meinen Job liebe. Deshalb ist der ermüdende Teil — die Reisen, der Jetlag und all das Durcheinander — nicht wirklich wichtig. Wenn ich irgendwo sitze und grübele, vermisse ich natürlich meine Familie, mit der ich am liebsten die ganze Zeit zusammen wäre. Aber wir können telefonieren, skypen — und nach ein paar Wochen bin ich auch wieder zu Hause. Wenn ich Heimweh habe, merke ich erst, wie reich mein Leben ist. Wenn ich kein Heimweh hätte, hieße das doch, dass ich allein wäre. Ich bin also sehr, sehr glücklich.

Singen Sie Zuhause manchmal zusammen mit Anna Netrebko?

Schrott: Nein, das tun wir nicht. Ich werde das oft gefragt, und bei der Idee muss ich jedes Mal kichern. Stellen Sie sich doch vor, wie das aussähe, wenn ich auch im Alltag auf Opernmodus liefe. Hieße das, den Anrufbeantworter in b-Moll besprechen oder die Frage nach dem Abendessen in Menuett-Form diskutieren? Das wäre ziemlich komisch, probieren Sie das ruhig mal selber aus.

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