Magical Mystery Tour Die Toten Hosen starten Wohnzimmer-Tour

Chemnitz. Campino schwebt unterhalb der Decke. An den Fensterscheiben sammelt sich das Kondenswasser. Es ist heiß, es ist stickig, in der Luft liegt der Dunst von Schweiß und Bier.

Magical Mystery Tour: Die Toten Hosen starten Wohnzimmer-Tour
Foto: dpa

Der Sänger der Toten Hosen grölt den alten Hit „Wünsch dir was“ ins Mikro während er beim Crowdsurfing auf den Händen der Fans getragen wird. Etwa eineinhalb Jahre hat die Band kein Konzert mehr gespielt. Am Sonntagabend melden sich die Düsseldorfer mit einem energiegeladenen Auftritt zurück - vor ungefähr 60 Leuten auf 35 Quadratmetern.

Die Location: Ein privater Band-Proberaum in einem ehemaligen DDR-Bürogebäude. Grauer fleckiger Teppichboden, Punk- und Metal-Poster an der Wand. Im Flur reihen sich die Bierkisten aneinander, das Nebenzimmer wurde zum Backstage-Raum umfunktioniert. Das knapp zweistündige Konzert ist der Auftakt der neuen „Magical Mystery Tour“, bei der die Hosen, die in diesem Jahr ihr 35. Jubiläum feiern, Fans im privaten Umfeld besuchen und dort umsonst spielen.

Zwölf Stationen in Deutschland, Österreich, Polen und der Schweiz stehen auf dem Programm. Die genauen Orte bleiben geheim. Etwa 10 000 Bewerbungen waren eingegangen, darunter auch die von Martin Grüneberg und seinen sieben Freunden. Normalerweise übt der 28-Jährige mit seinen Death-Metal-Bands in dem Proberaum. „Es ist so krass, dass das hier tatsächlich stattfindet“, sagt er. „Ich habe wirklich nicht gedacht, dass wir gewinnen.“ Doch die Bewerbung in Form eines Hörspiels auf einer Kassette kam gut an und vor zwei Wochen stand dann fest: Die Toten Hosen kommen tatsächlich.

Am frühen Abend schlagen sie auf. Erst Warmsingen beim Soundcheck, dann Abendessen. Es gibt Klöße und Rotkohl, dazu vegetarisches Gulasch. Zwischendurch plaudern die Musiker mit den Fans, Fotos werden gemacht, T-Shirts unterschrieben. Berührungsängste scheint es nicht zu geben. Was zieht die Band selbst aus diesen Begegnungen? „Klar, wir geben etwas, aber wir bekommen auch tierisch viel zurück“, erklärt Campino. „Weil wir eben sehen, wer uns da draußen eigentlich hört. Was das für Leute sind, wie die ticken.“ Und je später der Abend, würden da auch ganz gute Gespräche zustande kommen.

Die Hosen traten bei den Wohnzimmerkonzerten schon an den ungewöhnlichsten Orten auf: vom Privathaus in Island über den Vorgarten in Budapest, einer Krankenstation in Ingolstadt bis zur Punk-WG in Gießen. 1986 spielten sie in der Villa des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU) auf Einladung von dessen Sohn, wie es in der Band-Biografie „Am Anfang war der Lärm“ heißt. Zu lesen ist zudem von vollgepinkelten Beeten, ein paar demolierten Möbeln und einem geplünderten Weinkeller.

2012 kehrten sie im Partykeller des ehemaligen FC-Bayern-Fußballprofis Jens Jeremies ein. Dieser hatte sich laut Campino „wie jeder andere Arsch auch“ beworben und eine Entschädigung dafür gefordert, dass er der Band trotz deren Anti-Bayern-Lieds die Treue hielt und dafür Spott und Häme habe ertragen müssen.

Die Regeln sind seit jeher die gleichen: privater Rahmen, tolerante Nachbarn, ein gut gefüllter Kühlschrank und ab und an auch mal ein Schlafplatz. Ganz privat geht es beim Auftaktkonzert in Chemnitz allerdings auch wieder nicht zu: Die Lokalzeitung ist ebenso vertreten, wie ein Kameramann der Band. Ein Filmchen vom Auftritt soll auf die Webseite gestellt werden, die intimen Konzerte sind gut für das Image der einstigen Punk-Rocker, die längst zu den kommerziell erfolgreichsten Bands des Landes gehören.

Der Stimmung tut das allerdings keinen Abbruch. Die Hosen liefern zahlreiche Hits aus ihrer jahrzehntelangen Karriere, von „Liebesspieler“ über „Alles aus Liebe“ und „Hier kommt Alex“ bis „Altes Fieber“. Dazu kommen Coverversionen wie „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten oder „Teenage Kicks“ von den Undertones.

„Es ist sehr nett, in so einem ganz kleinen Rahmen wieder zu starten“, sagt Campino. Schließlich müsse man nach eineinhalb Jahren Pause erst mal wieder damit klarkommen, aufzutreten. Denn: „Selbst wenn man nur ein paar Monate nicht spielt, kommt einem das vor wie ein anderer Planet.“

2012 kam mit „Ballast der Republik“ das letzte Studioalbum raus. Nach der anschließenden Tournee, der größten und aufwendigsten in der Geschichte der Band, war es dann ruhiger geworden. Das wird sich in den nächsten Wochen und Monaten ändern: Im April erscheint die neue Single „Unter den Wolken“, im Mai das Album „Laune der Natur“. Und im Sommer spielen sie dann wieder die großen Festivals. „Rock am Ring“ mit vielleicht 80 000 Zuschauern statt Proberaum in Chemnitz mit 60 eingefleischten Fans. dpa

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