Die Tigerin setzt an zum Sprung

In den 1980er-Jahren machte das Ex-Model Furore als androgyne Stil-Ikone. Nun meldet sich die Sängerin mit der nachtdunklen Stimme zurück.

Düsseldorf. Böse Mädchen haben viele Namen. Man hat sie Maschinengeschöpf genannt. Die Roboterfrau. Das Exzess-Monster. Die Amazone. Ein Zwitterwesen. Sie war Königin der Discotheken und Ikone des Stils. Sie hat Künstler wie Andy Warhol und Keith Haring inspiriert, von Schwulen wurde sie verehrt und von Journalisten gefürchtet. Sie stand für Perfektion, für Coolness und Androgynie.

Das alles war in den 1980ern. Damals, als Grace Jones auf dem Zenit ihrer Karriere stand und mit Stücken wie "I’ve Seen That Face Before", "Walking In The Rain" oder "Slave To The Rhythm" aufhorchen ließ. Eine nachtdunkle Stimme, mehr Sprechgesang als Melodik, von herber Schönheit, angefüllt mit einer Erotik, die eisig umweht wie aus dem Tiefkühlfach wirkte und zugleich an eine Tigerin denken ließ - kurz davor, zum Sprung anzusetzen und zuzuschlagen.

Nun, nach fast zwei Dekaden, meldet sich Grace Jones zurück. Mit "Hurricane" hat sie ihr erstes Album seit 19 Jahren vorgelegt. Und geht jetzt, als inzwischen 60-Jährige, mit den neuen Stücken auf Tour.

"Hurricane" ist eine CD voller Widersprüchlichkeiten. Manches klingt altvertraut. Anderes ist überraschend neu. Harmonisch und versöhnlich. Fast schon weich, wie bei "I’m Crying (Mother’s Tears)". Auch in den Interviews zur neuen CD gibt sich Jones sehr kooperativ. Kommt weder viel zu spät (was eigentlich zu ihrem Image als Diva gehört), noch blockt sie bei Fragen ab oder provoziert. Sie weiß um die eigene Launenhaftigkeit und auch darum, was es bedeutet, für andere ein bestimmtes Bild abgeben zu müssen. "Es überrascht mich nicht, dass die Leute nicht hinter mein Image sehen können. Aber dafür ist Image schließlich da. Für mich war das nie ein Problem. Es ist bloß ein Problem für sie."

Sie hat Sinn für Ironie. Im Booklet von "Hurricane" sieht man sie, angezogen wie eine Arbeiterin in der Lebensmittelindustrie, ihre eigenen Klone aus Schokolade am Fließband produzierend. Aufgrund ihrer Markenzeichen - Kapuze, Sonnenbrille, stark betonte Lippen - wächst die Versuchung, sie zu kopieren oder in die Nähe einer stark stilisierten Kunstfigur zu rücken: "Ich hätte nichts gegen einen Cartoon über mich. Aber wenn ich ihn nicht kontrollieren könnte, dann würde mich das schon stören."

Gestalten und verfremden lassen hat sie sich von vielen Künstlern, mit denen sie gearbeitet hat. Das Video zu "Corporate Cannibal" von der neuen CD passt da voll ins Schema. Eine Grace Jones, die fast liquide ist, zerfließt und die Form ändert - bis hin zum langgezogenen Schädel, der sie wie ein Alien wirken lässt. Ziemlich gruselig.

Auch Furcht hat für Jones durchaus ihre Berechtigung: "Ich habe am Ende realisiert, warum ich so bin wie ich bin, und dass die Furcht aus der Dunkelheit kommt, einem Aspekt meiner Kindheit." Mit Stücken wie "Williams Blood" - das sich auf die Familie mütterlicherseits bezieht - wächst der Bezug zur eigenen Geschichte. Jones hat einen Film über ihr Leben damals auf Jamaika gedreht, auf der CD singt ihre Mutter mit und ihr Sohn Paulo hat ein Stück beigesteuert.

Widersprüche bleiben trotzdem. So sagt sie im "FAZ"-Interview: "Ich brauche viel Licht." Während sie in der "Welt" darüber Auskunft gibt, dass sie genau das scheue und am liebsten nachts mit dunkler Sonnenbrille einkaufen gehe. Sie beschreibt sich in "Welt Online" als zurückhaltend, fast schüchtern: "Wenn ich privat unterwegs bin, bevorzuge ich es, unerkannt zu bleiben. Wenn ich einen Raum betrete, bewege ich mich immer gleich in die dunkelste, entfernteste Ecke. Ich beobachte lieber als begafft zu werden."

Das klingt aus ihrem Mund verblüffend. Viel eher traut man ihr die Rolle der Aktiven zu. Die einer Jägerin. Insofern hört sich das Zitat auf "FAZ.Net" sehr viel authentischer an: "In Jamaika regieren die Frauen. Das ist wie bei den Löwen. Die Männer schlafen, die Weibchen fangen die Beute." Oder das, was man für authentisch hält: "Ich bin gut darin, mich zu kennen und mich zu entwickeln." "Hurricane" zeugt von beidem: Wissen, was man gut kann und zeigen, was noch geht. Die Tigerin im Tiefkühlfach setzt an zum Sprung. Zuschlagen wird sie auf ihrer Tour.

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