Das neue Album von Clueso: Von der Kunst, sich treiben zu lassen

Auf „An und für sich“ beschäftigt sich Clueso mit Erkenntnissen, die das Älterwerden mit sich bringt — authentisch, aufschlussreich, poetisch.

Der 30. Geburtstag ist, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen, ein Einschnitt. Für Clueso war er, so zumindest klingt es, wenn man ihn fragt, eher ein Pflichttermin, der abgehakt werden musste: „Ich hätte lieber gechillt“, sagt er. „Dann habe ich aber doch versucht, ihn abzufeiern.“ Gefallen hat es ihm, „aber man merkt, dass die Energieressourcen nicht mehr die gleichen sind“, zieht er Bilanz. „Plötzlich braucht man mehr als einen Tag, um eine solche Party zu verdauen.“ Der erste Einschnitt: Der Körper lässt nach.

Das neue Album von Clueso, „An und für sich“, beschäftigt sich mit vielen dieser Einschnitte, die man mit voranschreitendem Alter eher beiläufig wahrnimmt, die aber trotzdem eine gewichtige Rolle spielen. Was ist Zeit? Wie teilt man sie ein? An welchen Stellen lohnt es sich, konservativ zu werden? Was spielt plötzlich keine Rolle mehr? Und: Wer oder was ist wirklich wichtig?

„Mir macht die große Drei keine Angst um mich selbst“, sagt Clueso. „Aber ich kriege Angst, weil ich merke, dass meine Eltern älter werden.“ Noch lässt sich die Gewissheit der Vergänglichkeit auf die Vorgängergeneration projizieren. Doch die Momente, in denen man sich um die eigene Zeit, die bleibt, Gedanken macht, werden häufiger: „Man kann die Mauer schon sehen“, beschreibt es Clueso. „Man muss nur entscheiden, ob man Gas gibt oder auf die Bremse tritt.“ Wie hält er es selbst? „Ich trete voll drauf!“

Gemessen an dem, was man über Clueso weiß, ist der 30-Jährige ein Glückskind. Und das, obwohl die Voraussetzungen für Thomas Hübner, so sein bürgerlicher Name, nach klassischen Erwägungen eher ungünstig waren. Nach der Hauptschule machte der gebürtige Erfurter eine Friseurlehre, die er kurz vor dem Abschluss abbrach. Die Musik war ihm wichtiger.

Damals, Mitte der 90er-Jahre, war das noch der Hip-Hop. Seinen ersten drei Alben ist das auch deutlich anzuhören. Immer mehr entwickelt sich Clueso aber zum melodischen Erzähler introvertierter Alltagssituationen.

Seine Wortwahl ist kreativ und authentisch, an keiner Stelle rutscht ihm eine gekünstelte Verlegenheit heraus. Und trotz seiner unbehandelten Sprache entfalten die Texte eine berührende Wahrhaftigkeit — echte Poesie eben, die ihn zu einem der erfolgreichsten Künstler der vergangenen Jahre macht.

Parallel zum neuen Album erscheint auch ein Bildband, der die vergangenen Jahre von Clueso rückwärts Revue passieren lässt. Tagebuchähnliche Notizen ergänzen die Eindrücke von Band- und Tourleben sowie den Aufnahmesessions zu „An und für sich“ im spanischen Motril.

Die sengende Hitze wird auf den Bildern spürbar, der Spaß an der Kreativität, aber auch der Zusammenhalt im Kollektiv seiner Band. Diese „Vertrautheit“ könne er nicht mal seinen besten Freunden erklären, schreibt er.

Auch das ist eine der Erkenntnisse, die er in den vergangenen Jahren gesammelt hat: Man muss nicht alles hinterfragen. „Stell dir vor, es gäb ’ne Antwort auf jede Frage, die Du stellst“, singt er in „Erklär mir“. Es ist ein Plädoyer für die Unerklärlichkeiten des Lebens. „Man muss lernen, genießen zu können, aber nicht genießen zu wollen“, beschreibt er diese Lust am Vagen.

Und noch etwas hat Clueso entwickelt, das ihm vorher abging: Sendungsbewusstsein. Eines seiner Herzensthemen, die Verödung des Ostens durch einfallslose Investoren, hat er in „Das alte Haus“ verarbeitet. Darin beklagt er, dass sinnlos abgerissen wird, was eigentlich eine interessante Vergangenheit in sich trägt. „Es wird nicht weitsichtig gedacht“, prangert er die Strukturpolitik im Osten an. „Um gesund wachsen zu lassen, muss man investieren.“ Oder, wie er in seinem Buch sinniert: „Überall auf der Welt wird gespart — meistens am Geschmack.“ Mit dem umfunktionierten Zughafen in Erfurt, der Jugendlichen Raum zur kreativen Entfaltung bietet, möchte er diesem Trend entgegen wirken.

Vor einen Karren will er sich weiter nicht spannen lassen, auch wenn die Anfragen aus der Politik mit steigender Popularität zunehmen. „Unabhängig zu bleiben funktioniert nur, wenn man auf Inhalt setzt“, sagt er selbstbewusst. Auf „An und für sich“ ist ihm das gelungen.

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