Das Ende der Kassette - ein Abgesang auf das Magnetband

Lange Zeit war das Magnetband ein Muss für Teenager — als preiswertes Aufnahmemedium für Hits und als robuster Musikspeicher für unterwegs. Doch MP3s haben ihm den Rang abgelaufen. Ein Abgesang.

Rec-Taste, Starttaste — los. Das Band im Recorder wird von der einen auf die andere Spule gewickelt und zeichnet den neuesten Hit von wem auch immer auf.

In den 60er, 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielte sich diese Szene in Jugendzimmern der westlichen Welt millionen-, vielleicht milliardenfach ab. Vergangenheit.

Und die Gegenwart? Für 2009 meldeten die Hersteller in Deutschland noch drei Millionen verkaufter Musikkassetten. Zu wenig, um genügend Gewinn zu erwirtschaften. Kaum drei Jahre später geht die Geschichte der Kassette zumindest bei uns zu Ende. Für jeden, der die Erfolge von Uriah Heep, Beach Boys, Juliane Werding, Deep Purple, Abba, Michael Holm, Rod Stewart, Smokie, Rubettes oder Roy Black miterlebt — und mitgeschnitten — hat, ist das eigentlich unvorstellbar.

Die Dekaden dieser Stars waren die Blütezeit der Musikkassette. Es war die Zeit, in der ein US-Amerikaner namens Malcolm „Mal“ Ronald Sondock der wahrscheinlich beliebteste und meistgehasste Discjockey in Deutschland war. Geliebt, weil er in seiner Hitparade auf WDR 2 immer die neuesten Songs der größten oder noch groß werdenden Musiker spielte. Meistgehasst, weil er wenige Takte vor Ende eines Liedes seine Klappe nicht mehr halten konnte. Dann quasselte er in sympathischstem Deutsch-Amerikanisch drauflos, während das Band noch lief. Wie oft wurde in diesen Augenblicken panisch die Stopptaste gedrückt. Wie oft endete ein Stück deshalb unschön mit der ersten Silbe des ersten Wortes von Sondock.

All das ist längst Geschichte. Bei den Radiosendern gibt es Typen wie Mal Sondock nicht mehr. Die Moderatoren von heute geben sich entweder privat aufgeregt oder öffentlich-rechtlich zurückhaltend. Und die Rec-, Start-, Pausen- sowie Stopptasten der Recorder sind auch schon lange eingestaubt.

Die Kassette verschwindet. Es ist das Ende einer Ära, die keine war, weil sie weder mit einer technischen Revolution einherging noch das Musikgeschäft beeinflusst hat. Aber sie ist verbunden mit Popmusik-Enthusiasten wie Mal Sondock und dem Siegeszug des Walkman — der sich ebenfalls auf der Zielgeraden befindet.

Sehr wahrscheinlich wird nun nie mehr die Frage beantwortet, ob 90-Minuten-Bänder besser sind als jene, die nur 60 Minuten Musik aufzeichnen können. Dass die längeren wirtschaftlicher waren, muss nicht diskutiert werden. Aber wer je mit dem Bleistift an einem der beiden Zahnrädchen der Kassette gedreht hat, stets hoffend, dass die vielen Schleifchen und Röllchen sich letztlich nicht in einen todbringenden Knoten verwandeln mögen, der weiß, wie wichtig diese Frage früher gewesen ist. Vorbei.

Das Magnetband ist eine deutsche Erfindung, die nun von einer deutschen Erfindung in den Ruhestand verabschiedet wird. Als AEG in den 1930er Jahren das erste Tonbandgerät auf den Markt brachte, lagen dunkle Wolken über Europa. Die Nationalsozialisten bedienten sich der Technik für ihre braune Propaganda. Aber Künstler, vor allem Musiker, erkannten, dass in dem Aufzeichnungsverfahren auch ein Segen steckt.

In den 1940er Jahren sah ein US-Offizier erstmals ein AEG-Tonbandgerät des Modells „K4“ und hörte, welche Klangqualität diese Technik reproduzieren konnte. Der Weg in die USA war geebnet und der Aufstieg des Magnetbandes vorgezeichnet. Dass Anfang der 60er die hosentaschentaugliche Kompaktkassette auf den Markt kam, leitete den letzten Schritt dieser Entwicklung ein.

Er sollte 2010 zumindest in Deutschland damit enden, dass die Produktion von Musikkassetten gänzlich eingestellt wurde. In Zukunft sollen beispielsweise von Europa-Hörspiele lediglich noch „Die drei ???“ mit ihren Abenteuern auf Band zu haben sein — solange der Kassettenvorrat reicht.

Und das alles nur, weil das deutsche Fraunhofer-Institut vor etwa 20 Jahren entdeckt hat, dass mit kleinerer Datenmenge auch großer Klang erzeugt werden kann. MP3 war der Todesstoß für das Magnetband. Die CD hat das nicht geschafft, weil die mobilen Abspielgeräte zu groß, zu unförmig waren. Sie konnten dem „Walkman“ das Wasser nicht abgraben.

MP3 jedoch kann. Der Klang ist groß, die Geräte sind klein, nichts dreht sich, nichts bewegt sich, keine Mechanik, und dank Musikbibliotheken im Internet sind die Stücke von Lady Gaga und Co. in Sekundenschnelle aufgenommen, ohne Klicken, ohne Rauschen — und ohne dass Mal Sondock dazwischen quatscht.

Der sympathische US-Import im Radio muss das Ende der Kassette übrigens nicht erleben. Sondock starb 2009 in Köln im Alter von knapp 75 Jahren. Die Musikkassette dürfte ihn nur noch ein paar Jährchen überdauern, bis sie ganz und gar verschwunden ist.

Während so mancher angesichts der glatten Lied-Ansager von heute der sympathischen Wurschtigkeit von Mal Sondock eine Träne nachweint, wird sich die Trauer um die Musikkassette sehr wahrscheinlich in Grenzen halten. Es gibt nämlich nichts, was sie besser konnte als ihre Nachfolger. Das unterscheidet sie von der Langspielplatte, deren lebendiges Knistern den glasklaren Digitalklängen so viel voraus hat. „Ein Retrotrend wie beim Vinyl steht nicht an“, sagt Holger Neumann vom Tonträgerhersteller Pallas in Diepholz/Niedersachsen. Dort wurde Ende vergangenen Jahres das letzte Kinderhörspiel auf Kassette kopiert.

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