Country Music: „Viel mehr als Western-Romantik“

München (dpa) - Als die Scheinwerfer in der Londoner O2-Arena angehen, flirrt die Stimmung schon: 15 000 Menschen warten jubelnd auf ihre Helden - nicht etwa auf Popstars wie Robbie Williams oder Beyoncé, sondern auf die US-Country-Musiker Vince Gill und Tim McGraw.

Das erste internationale Country-Festival „Country2Country“ im Frühjahr in der britischen Hauptstadt lockte an zwei Abenden rund 30 000 Menschen aus ganz Europa an und machte deutlich: Country-Musik ist im Kommen. Auch in Deutschland brechen verkrustete Klischees auf.

Für Oliver Hoppe, Geschäftsführer von Wizard Promotions in Frankfurt/Main, ist Country zurzeit ein topaktuelles Thema. Anfang Juni war der Konzertveranstalter in Nashville (US-Bundesstaat Tennessee), um Kontakte zu knüpfen und zu festigen: „Seit rund einem halben Jahr haben wir uns Country verstärkt auf die Fahnen geschrieben.“ Zwar habe sein Partner und Vater Oskar Hoppe schon Künstler wie Garth Brooks und Kevin Costner nach Deutschland gebracht, doch wollten sie künftig mehr Tourneen von vor allem jungen Musikern und Bands in Deutschland organisieren.

In den USA sei der Markt quasi gesättigt, Bands spielten vor mehreren Tausend Fans in ausverkauften Hallen. „Früher haben US-Country-Stars den europäischen Markt gar nicht als relevant betrachtet. Das ändert sich zunehmend.“ Seitens der Musiker sei großes Interesse an Deutschland da, umgekehrt verspüre er auch hierzulande einen Trend zu Country, sagt Hoppe. Das Genre sei in Deutschland leider sehr klischeebesetzt. „Viele denken bei Country sofort an Bullriding und deutsch-amerikanische Freundschaftsfeste.“ Country mit all seinen Spielarten - wie Folkrock und Americana - sei aber handgemachte Musik, die zunehmend geschätzt werde.

Einer der US-Stars, der den europäischen Markt erobern möchte, ist Tim McGraw. Der smarte Musiker sorgte für Begeisterung bei seinem Auftritt in London. „Ich war auch dort und war wirklich erstaunt, wie bunt gemischt das Publikum war. Da saßen keineswegs nur Fans mit pinkfarbenen Cowboyhüten“, sagt Hoppe.

McGraw ist mit mehr als 40 Millionen verkauften Alben einer der erfolgreichsten Stars des zeitgenössischen Country. Vor seinem Auftritt in London sagte McGraw dem Magazin „Rookie“, er wolle auf jeden Fall wieder nach Europa kommen und dann auch in Deutschland auftreten. Er sieht gerade im Internet einen Grund, weswegen sich Country-Musik zunehmen über die Grenzen der USA hinaus bewegt. Heute könne man überall jede beliebige Musikrichtung hören. „Und Country erfreut sich zurzeit großer Beliebtheit. Es boomt richtiggehend.“

Es sei tatsächlich so, dass das Genre mit seinen artverwandten Richtungen Americana, Bluegrass oder Folk mittlerweile ein höheres Ansehen genießt und mehr Toleranz erfährt, sagt Gunther Matejka, Countryexperte und Redaktionsleiter des Magazins „Rookie“. Der Axel Springer Verlag in Berlin hat das Hochglanz-Heft als Pendant zum Rockmagazin „Rolling Stone“ auf den Markt gebracht. „Die Leute sind offener und reduzieren Country nicht mehr auf Johnny Cash und Truck Stop“, sagt Matejka. „Das Genre bietet mehr als Western-Romantik.“ Country sei eine emotional starke Musik auf hohem handwerklichen Niveau, die zudem gute Geschichten erzählt.

Von einem echten Boom will er jedoch noch nicht sprechen. Bands wie Lady Antebellum mit ihren Charthits und Grammys täten der Branche zwar gut, jedoch müsse man ehrlicherweise sagen, dass deren Musik dann doch mehr mit Pop als mit Country zu tun habe. „Auch wenn sie aus Nashville kommen und ihre Wurzeln im Country liegen. Neueinsteigern empfiehlt er den Kauf von Zusammenstellungen, um die ganze Bandbreite des Genres kennenzulernen. „Country ist so vielfältig wie Pop und Rock. Da ist für jeden Geschmack etwas dabei.“

Den Boom gebe es eher im englischsprachigen Bereich, sagt auch Mark Bender. Der Musiker aus der Oberpfalz arbeitet nebenher als Produzent und Textschreiber, weil man in Deutschland von Countrymusik allein nur schwer leben könne. Es gebe zu wenig Möglichkeiten, gegen Gage bei Festivals aufzutreten. Und im Radio oder Fernsehen spiele Country gar keine Rolle - obwohl gerade diese Musikrichtung für die großen TV-Musikshows eine Bereicherung sein könnte. „Wenn ein Redakteur eines Radiosenders das Wort Country hört, dann wird gleich abgewunken.“ Schlager und Volksmusik ja, aber kein Country.

Taylor Swift oder BossHoss kombinierten einen Touch Country geschickt mit Pop oder HipHop-Elementen, so dass das auch im Radio gespielt wird, sagt Bender. „Country wird blockiert, bekommt gar keine Chance oder wird als kitschig dargestellt - das hat dann was von Cowboy-Fasching.“ Aber wenn er etwa Freunden Musik vorspiele, ohne vorher zu sagen, was das ist, dann komme zu 90 Prozent die Reaktion: „Was ist das? Klingt gut! Wie, das ist Country?“ Sein neuestes Album „Great Small Stuff“ hat Bender in Englisch gesungen. Damit es weniger schlagerhaft klingt - und eher cool.

Dass Country-Musik im Radio ein Nischendasein fristet, sagt auch Christina Sas von der Plattenfirma Universal Music in Berlin. Doch finde Country in Deutschland zurzeit verstärkt Aufmerksamkeit. The BossHoss, Lady Antebellum und Taylor Swift erreichten ein breites Publikum, auch im Radio. Im Bezahlsender Fox läuft die US-Serie „Nashville“ mit Hayden Panettiere. Auch der belgische Kinofilm „The Broken Circle“ lenkt aktuell den Fokus auf Country und Bluegrass. „Das ist am Markt ablesbar. Der Soundtrack verkauft sich sehr gut.“ Country findet Sas zufolge momentan auf allen Kanälen statt: Kino, Print, Radio, Fernsehen, CD und DVD.

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