Alicia Keys: Gelangweilt von anspruchsvollem Pop

Ausgetüftelter Piano-Soul war gestern. Auf dem vierten Album von Alicia Keys regiert stattdessen gleichförmiger Wohlklang.

New York. Die Liebeserklärung an ihre Stadt war längst überfällig. Schließlich gibt es kaum eine zeitgenössische Popkünstlerin, die man stärker mit New York assoziiert als Alicia Keys. All das, was die Metropole am Hudson River ausmacht, verkörpert die 28-Jährige mit lässiger Selbstverständlichkeit: Sie ist schön, sie weiß sich zu kleiden, ihr gesamtes Äußeres hat diese kühle Ästhetik, die auch die Skyline von Manhattan ausstrahlt.

Ihr Habitus ist weltgewandt, sie hat Humor, ist gebildet, erfolgreich, trotzdem aber bodenständig und bescheiden geblieben. Künstlerisch gilt sie als anspruchsvoll, experimentierfreudig, neigt zum Perfektionismus, ist unter ihren Freunden als Schöngeist verschrien, kann aber wohl auch ordentlich auf den Putz hauen, wenn’s darum geht, um die Häuser zu ziehen.

Halbe Sachen sind nicht ihr Ding, ihren Griechenland-Urlaub nutzte sie beispielsweise dazu, die Original-Marathonstrecke zu laufen. Nach Niederlagen kann sie sich gut berappeln. Und ihr familiärer Background spiegelt den Schmelztiegel wider, der New York für so viele Einwanderer wurde: Ihr Vater ist Afro-Amerikaner, die Vorfahren der Mutter stammen aus Irland und Italien.

Nun also, zeitgleich mit dem vierten Album, erscheint auch ihr Tribut an die Stadt, die sie geformt und gehegt hat. Wenn Du’s hier schaffst, schaffst Du’s überall, zitiert sie in "Empire State of Mind", dem schönsten und reifsten Song ihres neuen Longplayers, die legendäre Sequenz aus Frank Sinatras "New York, New York".

Es ist eine introvertierte Hymne, würdevoll, rau und gleichzeitig verletzlich. Ein bisschen wie der Häuserdistrikt in Manhattan, aus dem sie stammt und dem die New Yorker zu den Zeiten, als vor allem irische Einwanderer und Arbeiter das Straßenbild prägten, den zwar poetischen, aber trotzdem unschmeichelhaften Namen Hell’s Kitchen gaben. Als Kind habe sie die Mischung aus Broadway-Glamour und Sozialproblemen noch hautnah miterlebt, sagt Keys. Heute allerdings, nach etlichen stadtplanerischen Umstrukturierungen, gleiche das Viertel eher einem Disneyland.

Mit ihrer Komposition hat Keys auf jeden Fall einen Nerv getroffen. Die Version des Songs, die in Zusammenarbeit mit Rap-Star und Stadtteilnachbar Jay-Z aus Brooklyn entstand, besetzt in den USA seit drei Wochen Platz eins.

Selbst den Charts gibt sie damit etwas Stil zurück, den die Verkaufslisten in diesem Jahr mit pumpendem Lady-GaGa-Pop und dem beschämenden Vocoder-Geplärre der Black Eyed Peas eingebüßt haben. Und passender könnte ein Jahrzehnt musikalisch nicht enden, dessen Krisen und Kriege, aber auch Hoffnungsschimmer mit dem widerborstigen Stolz New Yorks symbolisiert werden.

Es könnte also alles so schön sein - aber eigentlich ist es das nicht. Denn Alicia Keys, die virtuoses Pianospiel, angenehm sonoren Soulgesang und vertrackte Songstrukturen zu einer mitreißenden Mischung aus Barjazz, Retro-R’n’B und Kunstpop vermengte und damit seit 2001 bereits mehr als 30Millionen Alben weltweit verkaufen konnte, hat offenbar die Lust am Besonderen verloren.

Mit ihrem letzten Album "As I Am" deutete sich das bereits an, als Keys das lustlos zusammengezimmerte "No One" als erste Single erkor und ausgerechnet damit ihren bislang größten Single-Hit landete.

War der maßgebliche Rest des damaligen Longplayers immerhin noch wohl temperiertes Soultheater, ist das Bild auf "The Element of Freedom" gekippt. Viele der Songs klingen wie ein "No One: Reloaded". Gängige Harmoniefolgen, im Hintergrund mit knappem Akkordspiel auf dem Klavier angedeutet, dazu ein sich etwas ungelenk anschmiegender Text, versehen mit etlichen Ohs und Ahs, variieren das fragwürdige Erfolgsmuster.

Dass es auch anders geht, dass Melodien sich bei Alicia Keys noch in unbekannten Bahnen bewegen können und trotzdem als griffiger Song funktionieren, belegt nur die um Jay-Zs Rapeinlagen bereinigte Urversion von "Empire State of Mind". Ein letztes Aufbäumen - und dann die Kapitulation vor der Beliebigkeit? Nicht von ungefähr klebt das Kleinod etwas unmotiviert am Ende der regulären 13 Songs des Albums.

"Früher", sagt Keys, "habe ich immer dann geschrieben, wenn es mir nicht so gut ging, wenn der Schmerz überwog." Im Vorfeld von "The Element of Freedom" habe sich das geändert. "Die meisten der Songs sind in einer Hochstimmung entstanden." Leider, möchte man da fast sagen. Obwohl man Miss Keys wirklich jedes Lachen gönnt.

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