23 Minuten Musik am Stück

Heute wird die Langspielplatte 80 Jahre alt. Sie war eine Revolution: Zuvor passten lediglich vier Minuten auf eine Seite.

New York. Viele Menschen unter 30 können sich das wohl kaum vorstellen: Da hat man ein großes Ding, das schnell zerbricht oder zerkratzt, das man umständlich putzen und auf ein großes Gerät legen muss. Dann, ganz vorsichtig, den Arm herüberziehen, die Nadel daraufsetzen, und endlich hat man Musik — für 23 Minuten!

Dennoch nennt sich das schwarze Ding Langspielplatte. Und es hat die Gesellschaft revolutioniert: Zum ersten Mal konnten breite Massen überall Musik hören. Vor 80 Jahren wurde die Langspielplatte erfunden.

Tausende Jahre lang gab es Musik nur da, wo sie entstand. Wer sie hören wollte, musste zum Künstler gehen oder selbst zum Instrument greifen. Das änderte sich erst vor nicht einmal 150 Jahren, als der Franzose Édouard-Léon Scott de Martinville eine Walze entwickelte, die Töne aufnehmen konnte — allerdings nicht wiedergeben. Das schaffte genau 20 Jahre später, 1877, erst das Erfindergenie Thomas Alva Edison. Und noch einmal zehn Jahre später machte der Industrielle Emil Berliner aus der Walze eine Scheibe: Die Schallplatte war erfunden. Kleiner Schönheitsfehler: Auf eine Seite passten nur vier Minuten Musik.

Doch die Entwicklung ging weiter, die Schallplatten wurden besser und boten mehr Laufzeit. Der Durchbruch kam heute vor 80 Jahren, als in New York die erste Langspielplatte vorgestellt wurde. Sie musste mit 33,5 Umdrehungen in der Minute abgespielt werden, Standard bis heute.

Aber längst nicht in jedem Wohnzimmer stand ein Grammophon, solch ein Gerät war teuer. Also lieh man sich eins aus — zum ersten Mal war Musik zu einem Massenmedium geworden, das überall genutzt werden konnte. Der nächste Durchbruch kam in den fünfziger Jahren, als der teure Schellack durch Vinyl ersetzt und die Schallplatte zum Allerweltsgegenstand wurde. Der Klang der Platten erreichte in den 60er Jahren seinen Höhepunkt. Zwar waren sie zum Kulturgut geworden, aber technisch hatten sie ihren Zenit erreicht.

„Die Klangqualität der CD ist einfach besser“, sagt Toningenieur Gert Redlich. Und doch: Für Millionen Menschen wird sie immer der einzig wahre Musikträger bleiben. „Technisch ist das Unsinn“, sagt Redlich. „Die LP hat nun mal ihre Grenzen.“ Aber Musik sei ja nicht nur Technik, gibt er zu. „Die Leute gehen ja nicht wegen des Films ins Kino, sondern sie gehen wegen des Kinos ins Kino. Das Erlebnis zählt, und das ist bei der Schallplatte nicht anders. Und was hat schon mehr Atmosphäre als Musik mit einem leichten Knistern?“

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