Martin Walsers Glaubensbekenntnis

Der große Erzähler schreibt über einen modernen Messias und schwelgt stellenweise haltlos in christlicher Mystik.

Düsseldorf. Eigentlich ist es ein Roman über die heilsame Kraft des Schweigens, doch Martin Walser zieht in „Muttersohn“ natürlich eine Vielzahl sprachlicher Register, befeuert von fantastischer Fabulierkunst. Er blättert das Leben der Näherin Fini auf, einer zarten Seele mit Durchsetzungskraft. Als Ehemann stellt er ihr einen schwulen Ex-Nazi an die Seite, der aus Verehrung für Arno Schmidt dessen Namen annimmt und im Wochenend-Suff seine Frau verprügelt.

Den Psychiatrie-Professor Augustin Feinlein lässt der Schriftsteller über die Vergangenheit und die verlorene Liebe raunen. Am Ende stiehlt der Gelehrte mit dem Hang zum Kirchenlatein eine Reliquie mit dem Blut Jesu und wird als Patient in die eigene Klinik eingeliefert. Sogar der mundfaule Austausch unter Motorradfahrern findet einen ironischen Widerhall: „Ich: Ducati! Er: Monster! Ich: Naked Bike! Er: Du kennst dich aus.“

In den Vordergrund seines neuen Romans schiebt Walser keinen Antihelden, sondern eine messianische Figur namens Anton Percy Schlugen.

Seine Mutter Fini nennt ihn „Engel ohne Flügel“, der Autor bezeichnet ihn als seine „bisher leichteste, hellste Figur“, Percy selbst sagt: „Ich baue Leichtigkeit an wie andere Mais und dünge sie mit Himmelslicht.“ Derlei wirkt allerdings rasch nicht mehr erhaben, sondern bloß überhöht.

Percy arbeitet als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik und ist bekannt für den Erfolg seiner Schweige-Therapie. Zudem hält er gelegentlich umjubelte Predigten, die aus der „Heiligkeit des Augenblicks“ geboren werden.

In seinem Glauben ist Percy unerschütterlich, auch darin, ohne Vater gezeugt worden zu sein — das hat ihm schließlich die Mutter von kleinauf erzählt. „Dass Sie mit Nazareth konkurrieren, ist Ihnen bewusst?“, fragt die Talkshow-Moderatorin Susi. Percy erwidert so salbungsvoll wie ausweichend: „Ich weiß nicht, was das ist, konkurrieren.“

In aller Produktivität ist der Schriftsteller 84 Jahre alt geworden. Selbst der Mann, der in den 1960er und 1970er Jahren als DKP-Sympathisant galt und 1969 Willy Brandt im Wahlkampf unterstützte, wendet sich den letzten Dingen zu. Dabei vollzieht der Großschriftsteller einmal mehr eine überraschende Wendung. Er legt ein Bekenntnis zum christlichen Glauben ab: „Glauben heißt, die Welt so schön zu machen, wie sie nicht ist.“

Allerdings hat Walser den Überraschungs-Effekt abgepuffert. Das dritte Kapitel „Mein Jenseits“ hat er im vorigen Jahr textgleich als Novelle veröffentlicht: Er habe sehen wollen, was seine Leser sagen, wenn er mit einem Glaubensbuch daherkommt.

Entscheidender als das Thema ist für den Roman jedoch der Verzicht auf Koordinaten. Walser sagt selbst: „Das Wichtigste ist wohl, dass das Gesellschaftliche fehlt, das sonst immer so wichtig war. Nach so viel Gesellschaftsdienst ist das eine Erlösung.“ Stattdessen schwelgt er in seinem Evangelium in christlicher Mystik und göttlicher Fügung.

Den Leser erlöst dies alles nicht. Vielmehr verstummt man verblüfft vor dieser Abgehobenheit — und verliert ein gutes Stück seines Glaubens an Walser.

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