Lebensstationen: Ein wildes Leben für die Kunst

Vom „Lidl“-Klotz über den Theaterhelden zum Bar-Besitzer und gefeierten Künstler.

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  • Düsseldorf. Jörg Immendorff ist einen langen Tod gestorben. Seit 1998 wusste er von seinem nahenden Ende, als die Ärzte die unheilbare Nervenkrankheit ALS diagnostizierten. Er heiratete trotzdem und gründete eine kleine Familie. Seinen Kritikern sagte er: "Meine Frau Oda und ich waren uns einig, dass wir die Naturgesetze überwinden wollten. Das ist doch das Tolle als Künstler, dass wir über normale Grenzen hinausschauen."

    Wo die Überwindung von Hindernissen durch Kunst nicht gelang, versuchte er es mit Kokain und Prostitution. 2004 war er vom Landgericht Düsseldorf zu elf Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er war 2003 bei einer Sex-Party mit käuflichen Damen und mehreren Gramm Kokain erwischt worden. Seine Professur ruhte zeitweilig.

    Immendorff, der Kettenraucher, ärgerte sich, dass er zuletzt nicht nur keinen Pinsel, sondern auch keine Zigarette mehr halten konnte. Ein Heer von Assistenten und Helfern schwirrte um ihn herum. Doch sobald es ihm besser ging, parlierte er mit Größen wie Gabriele Henkel oder Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Dem hatte er im Bild einen Heiligenschein verpasst - und die eigenen Immendorff’schen Affen einschmuggelt.

    Immendorff war ein Theatermensch, hatte drei Semester Bühnenbild studiert, bevor er zu Beuys ging, liebte die Bühne und die Rollenwechsel. Seine frühen Auftritte in Turnhose am Düsseldorfer Rheinufer waren die eines Adonis. Später trug er die schwarze Lederkluft des Barkeepers, besaß er doch das "La Paloma" in Hamburg. In der Oper "The Rake’s Progress", zu der er die Ausstattung schuf, gab er sich als Solotänzer, war ewiger Clown und Hieronymus in dunklen Zellen.

    Wie sein Lehrer Joseph Beuys hatte er pädagogisches Talent. Elf Jahre lang wirkte er in Düsseldorf-Wersten als Hauptschullehrer und hämmerte dem Nachwuchs ein, "radikale Kritik" zu üben. Er selbst konnte mit Worten verletzen. Plötzlich schoss es aus ihm heraus, wie "beleidigend schlecht" die Bewerbungen für seine Klasse seien. Doch dann wiegelte er versöhnungsbereit auch gleich wieder ab.

    Er kritisierte die Politik, war jedoch im täglichen Leben naiv. Er ließ das Atelier offen, hob Geld in Schubladen auf und empfing ahnungslos die Diebe. Zugleich kultivierte er seine "anarchistischen Wurzeln". Mit dem "Lidl-Klotz" zog er 1968 durch Bonn gegen die Notstandsgesetze zu Felde. 1979 stellte er sich bei der Kommunalwahl für die "Alternative Liste" zur Wahl und fiel durch.

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