Das leise Licht, das laute Fanal Was uns die Kerze bedeuten will

Baden-Baden (dpa) - Wie schwebend im Raum, seitlich halb verschattet, die Flamme fast gleißend und das Bild doch so beruhigend dunkel und leise - „Kerze“. Gerhard Richter hat sie gemalt, kaum ein modernes Gemälde hat sich als Ikone sakraler Reinheit, Stille und vollkommener Insichgekehrtheit so ins Gedächtnis gebrannt wie dieses.

Das leise Licht, das laute Fanal: Was uns die Kerze bedeuten will
Foto: dpa

Seit Jahren ist es im Besitz des Museums Frieder Burda in Baden-Baden, zuletzt wurde es 2014 dort gezeigt. Nun dreht sich von Samstag an eine ganze Ausstellung um die Kerze als Motiv, als Sinnbild für Spiritualität und Religiosität, als Synonym für Erleuchtung und Klarheit, für Leben und Vergänglichkeit, aber auch als Verweis auf Zwielicht und Geheimnis oder als erotisches Zeichen für Macht, Potenz und Gewalt.

Das leise Licht, das laute Fanal: Was uns die Kerze bedeuten will
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Die mit dem schlichten Titel „Die Kerze“ überschriebene Schau gruppiert dabei zeitgenössische Künstler des ausgehenden 20. und des 21. Jahrhunderts um die 1982 entstandene Bild-Ikone Richters, der das Motiv 29 mal malte. Sie wird Ausgangspunkt für einen umfassenden, mitunter ruppigen und verstörenden Streifzug durch die Facetten dieses Motivs - in Skulpturen, Installationen, Fotografien und vornehmlich Gemälden.

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Über 50 Werke von 37 Künstlern haben die Kuratoren nach Baden-Baden geholt aus Häusern in Deutschland, der Schweiz oder den USA. Gleich im Erdgeschoss trifft der Besucher quietschbunt auf Jeff Koons. Im großformatigen Gemälde „Candle“ (Kerze) stellt Koons eine sonnengelbe Kerze plakativ in den Vordergrund und verquirlt dort Teile eines Bikinis, einen blauen Schmetterling, lila Blüten vor knallblauem Wasser und Urlaubshimmel zu einer fröhlichen Collage weiblicher Erotik. Lebensfroh und vergnügt brennt die Kerze hier vor sich hin. Aber es geht auch anders.

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Daneben verwandelt sich in einem Bild Dieter Kriegs die Kerze in eine Dynamitstange. Im nicht betitelten Werk steht sie aggressiv-orange und bedrohlich gekrümmt neben einer Art Sammelbüchse mit großem Schlitz. „Opfer“ steht darauf. Religiöse Doppelmoral, brutale Sexualität? „es geht nicht um dich“, motzt jedenfalls im gleichen Raum eine mehr als zwei Meter große Skulptur von Seb Koberstädt, der aus echtem Wachs eine Kerze wie einen Riesen-Phallus mit Docht auf einen Ständer aus Hirschgeweih montiert. In neonlichtigem Bienenwachs modelliert ein paar Meter weiter der US-Amerikaner Robert Gober eine abstoßende Version einer mit Menschenhaar bestückten Scham, aus der eine Kerze ragt.

„Die Kerze als sexuelles Motiv findet man etwa bei niederländischen Malern schon früh im 18. Jahrhundert“, erklärt Mitkuratorin Katrin Schwarz. Kerzen beleuchten Mägde und Dirnen oder spenden Licht in übel beleumundeten Wirtshäusern. Doch Kerzen stehen bis heute immer auch als Symbol für Trost und Trauer, Heil und Hoffnung: In der Ausstellung greift dies etwa ein Werk von Nam June Paik auf, der einen Buddha vor einen Fernseher setzt, in dem eine Kerze brennt. Spiritualität wird angedeutet und gleichzeitig ironisch gebrochen.

Traurig gegenwärtig ist die Kerze als Kerzenmeer vor Tatorten, Gedenkstätten, Schauplätzen von Amokläufen oder terroristischen Anschlägen. Die große Fotografie „Tribute“ (Gedenken) von Thomas Demand zeigt schier unzählige brennende Kerzen in verschiedenen Rottönen vor einer Mauer so leuchtend, als wäre die Fotografie von hinten zusätzlich bestrahlt. Die kontemplative Dramatik des Fotos wird noch übertroffen von einem Foto-Kunstwerk der Performance-Künstlerin Marina Abramovic in „Artist Portrait with a Candle“ (Selbstporträt mit einer Kerze): Die in schwarz gekleidete Abramovic sitzt im dunklen, nur vom Kerzenschein erhellten scheinbar unendlichen Raum mit einer Kerze in der Hand. Die Augen sind geschlossen.

Der Ausstellung „Die Kerze“ gelingt ein weiter Blick auf den Umgang zeitgenössischer Künstler, darunter auch Georg Baselitz, Jörg Immendorff oder Markus Lüpertz, mit diesem Motiv. Manch einer bezieht sich gar direkt auf Richter: Seine Schülerin Karin Kneffel malte extra für die Schau Variationen seines berühmten Bildes. Kerze ausgepustet, angriffslustig auf den Kopf gestellt, gespiegelt, übermalt und doch als Hommage ehrfürchtig erhalten.

Ein Kunstwerk jedoch wird die Schau nicht unbeschadet überdauern und treibt seinen eigenen Schabernack mit der Kerzen-Symbolik: Urs Fischers Pyramide aus wächsernen Leuchtröhren wird im Laufe der Ausstellung - abgebrannt.

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