„Überwältigend kühn“: Kiel ehrt Christian Rohlfs

Kiel (dpa) - Als 15-Jähriger stürzte Christian Rohlfs (1849-1938) von einem Apfelbaum, im zweijährigen Krankenlager erkannte der behandelnde Arzt seine große zeichnerische Begabung.

Die Kunst sollte denn auch zur Bestimmung des Holsteiners aus Niendorf werden. Er wurde später - von Edvard Munch, Emil Nolde und Wassily Kandinsky beeinflusst - zu einem Zeitgenossen der Moderne. Seine künstlerische Entwicklung von der Malerei des 19. Jahrhunderts bis zum Expressionismus ist ebenso vielseitig wie seine Experimentierfreude mit Techniken und Materialien.

„Überwältigend kühn“, lautet denn auch der Titel der großen Retrospektive in der Kieler Kunsthalle zum 75. Todestag des Künstlers (8. Januar 2013). Sämtliche Schaffensperioden dokumentiert die Schau, die am Samstag öffnet (bis 17. Februar). Dank verschiedener großzügiger Schenkungen besitzt das Museum den weltweit größten Bestand an Zeichnungen des Künstlers. Die meisten der jetzt gezeigten Arbeiten sind erstmals öffentlich zu sehen - eine künstlerische Entdeckungsreise.

Die Ausstellung bietet gut 300 Werke aus allen Schaffensphasen. Den Großteil machen 156 Zeichnungen und 56 Aquarelle aus. Hinzu kommen 36 Skizzenbücher, 30 Druckgrafiken, 4 Pastelle sowie 24 Gemälde. Die Exponate stammen bis auf Leihgaben aus Güstrow und Rostock aus den Beständen der Kunsthalle. Landschaftsmotive dominieren, es finden sich aber auch expressive Porträts („Der Gefangene“, 1918), Dämonen, Tiere und Ornament-Entwürfe.

Als Spätfolge des Apfelbaum-Sturzes musste Rohlfs 1873 das rechte Bein amputiert werden. Zu dem Zeitpunkt hatte er schon drei Jahre in Weimar Kunst studiert. Studienaufenthalte führten ihn auch nach Eisenach, Dresden, später nach Bayern und Westfalen sowie im Alter nach Ascona an den Lago Maggiore. Mit Emil Nolde schloss er 1905 in Soest Freundschaft; 1914 wurde er Mitglied der Freien Sezession Berlin. Der „Patriarch“, wie man ihn in Künstlerkreisen nannte, wurde mit Ausstellungen in mehreren Städten geehrt. Im westfälischen Hagen wurde ihm sogar ein Museum gewidmet (heute Osthus Museum). Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde auch seine Kunst als „entartet“ diffamiert, mehr als 400 Werke von ihm wurden beschlagnahmt.

Der Maler, am 22. November 1849 in Groß Niendorf geboren, wandte sich anfangs dem Naturalismus, dann dem Impressionismus und seit 1910 dem Expressionismus zu. Gemälde wie „Häuser in Weimar“ (1903) zeigen auch, wie sich Rohlfs in der pointilistischen Maltechnik ausprobierte. Zeichnungen wie „Der Tod mit Sarg“, Holzschnitte mit religiösen Motiven oder ein kleine kolorierte fröhliche Zeichnung, wie er mit seiner Frau bei der eigenen Hochzeit als Einbeiniger tanzt, illustrieren die Vielfalt. Fast sakralen Charakter strahlen Zeichnungen seiner Hochzeit in einem Museum in Essen aus - mit 70 Jahren heiratete er die 27-jährige Helene Vogt. Es war seine erste Ehe.

Typisch für Rohlfs ist das Erkunden und Erforschen von Form, Farbe, Stil und Malerei, wie Kunsthallen-Direktorin Anette Hüsch erläutert. „Er bearbeitete Blätter mit einer Bürste, so dass Gitterstrukturen entstanden, in die er wieder Strich und Linien setzte.“ „In eine einzige Schublade als Expressionist lässt sich Rohlfs jedenfalls nicht stecken“, ergänzt Peter Thurmann, Leiter der Gemäldesammlung der Kieler Kunsthalle. „Und ein Epigone ist er keinesfalls, auch wenn man bei manchen Arbeiten an andere Künstler denken mag.“ Dass ihm nie der ganz große Durchbruch gelang, dürfte auch daran gelegen haben, dass Rohlfs auf Selbstvermarktung wenig Wert legte. So verlangte er auch nur die Hälfte des Preises für seine Bilder etwa im Vergleich zu seinem Freund Nolde. „Und wortkarg war er“, sagt Thurmann.

Zur Ausstellung erscheint in drei Wochen ein Bestandskatalog der in Kiel vorhandenen 1850 Arbeiten, gefördert von der Ernst von Siemens Kunststiftung.

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