Skulpturen wie von Kafka

Köln (dpa) - Wolfgang Schäuble als personifizierter Vater Staat überblickt tonnenschwer und vier Meter hoch die letzte große Ausstellung von Kasper König.

Der Direktor des Museums Ludwig in Köln geht nächstes Jahr in Rente und verabschiedet sich mit einer Skulpturenschau zu einem denkbar umfassenden Thema: die menschliche Existenz und ihre Verletzlichkeit.

Der Ausstellungstitel „Vor dem Gesetz“ spielt auf eine Kurzgeschichte von Franz Kafka an: Ein Mann bittet um Einlass in das Gesetz, wird aber von einem Türhüter solange vertröstet, bis er sein ganzes Leben als vergeblich Wartender zugebracht hat. Die von König versammelten Kunstwerke zeigen den Menschen als ausgelieferte und geschundene Kreatur. Übermächtig erscheint hingegen „Vater Staat“, dessen Gesichtszüge der Bildhauer Thomas Schütte nach eigener Aussage denen Schäubles nachempfunden hat.

Verstörend, nicht jugendfrei und nach kurzer Zeit schier unerträglich ist ein fast sechs Stunden dauerndes Schattenspiel, in dem das Geschehen alle 45 Sekunden wechselt. Der in Hongkong geborene US-Künstler Paul Chan spielt im Titel auf den Marquis de Sade an („Sade for Sake's sake“), doch zeigt er Sexualität nicht als etwas Befreiendes, sondern als animalischen Zwang, der mit Unterwerfung und Missbrauch einhergeht. Da denkt man unwillkürlich an den Abu-Ghoreib-Folterskandal im Irak.

Die Verschonten, die das alles nicht erleiden müssen, wollen sich dem Unglück der anderen normalerweise nicht aussetzen, doch in dieser Ausstellung wird man dazu gezwungen. Mancher Eindruck bleibt haften. Ungeheuer kleinteilig dokumentiert etwa der deutsche Künstler Andreas Siekmann in seinen mit der Computermaus entworfenen Zeichnungen, wie ganze Gruppen von Menschen ausgeschlossen werden, etwa Armutsflüchtlinge an den Grenzen reicher Länder. Hier ist er wieder, der ewig Wartende aus Kafkas Geschichte, der womöglich sein ganzes Leben vertröstet wird.

Bei all dem ist die Ausstellung mit 25, oft raumfüllenden Skulpturen aber kein Amnesty-Bericht in 3D. „Es ist dann doch nur Kunst“, sagt König und meint damit, dass es keine konkrete, vielleicht gar politische Botschaft gibt. Die Kunst wirft Fragen auf, aber sie gibt keine Antworten. Das wäre auch zu platt.

Im besten Fall bringt das Werk etwas zum Ausdruck, das sich eben nicht in Worte fassen lässt. Der Cherokee-Indianer Jimmie Durham zum Beispiel wollte ursprünglich ein Buch über die Vernichtung seines Volkes schreiben, aber es gelang ihm nicht - die Geschichte war zu schrecklich. Stattdessen schuf er eine Installation. Das Ergebnis ist eine Art Schrottplatz, auf der man als Besucher herumwandern kann - zwischen Ölfässern, Autoreifen, aufgeschlagenen Flaschen und weggeworfenen Reifen. Eine Müllhalde der Geschichte.

Nicht jede Skulptur wird jedem Besucher etwas sagen. Den einfachsten Zugang bieten die ältesten Arbeiten, Plastiken der unmittelbaren Nachkriegszeit. Ihre Bedeutung erschließt sich dem heutigen Betrachter sofort, während sie zu ihrer Entstehungszeit als ausgesprochen abstrus galten. 1959 klagte eine Leserin der „Münchner Illustrierten“, heute müssten Künstler wohl gar nichts mehr können. Sie bezog sich dabei auf „Die zerstörte Stadt“ von Ossip Zadkine, eine Gestalt, die mit einem Schrei des Entsetzens in den Himmel blickt und dabei abwehrend die Arme hochreißt.

Die Zeitung holte von Zadkine persönlich eine Antwort ein. Er empfahl der Frau, die originale Plastik an ihrem Standort in Rotterdam zu besuchen, einer 1940 von der deutschen Luftwaffe zerstörten Stadt. „Sie würde an alle verwüsteten Städte denken und mir, so hoffe ich, verzeihen.“

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