Nach dem Kunstraub: Dumme Diebe oder Art-Napper?

Rotterdam (dpa) - Direktorin Emily Ansenk kann es am Mittwoch noch immer kaum fassen. Der Schock nach dem spektakulären Kunstraub in Rotterdam ist groß. „Es ist ein Alptraum“, sagt die 42-Jährige dem niederländischen Radio.

Keiner weiß bislang, wer hinter dem Diebstahl aus der Kunsthalle in Rotterdam steckt - zumal es schwierig scheint, Käufer für die Werke zu finden.

Die Diebe erbeuteten sieben Gemälde berühmter Maler des 20. Jahrhunderts, darunter Pablo Picasso, Henri Matisse und Paul Gauguin. Ihr Wert wird auf 50 bis 100 Millionen Euro geschätzt.

Viele Kunstdiebe ließen sich von den hohen Preisen bei Auktionen in die Irre führen, vermutet der Direktor des Art Loss Registers, der größten Datenbank gestohlener Kunstwerke in London, Christopher Marinello. „Dann merken sie sehr schnell, dass sie sie nicht verkaufen können,“ sagt er im niederländischen Fernsehen. „Die Rotterdamer Polizei hat die Werke sofort bei uns registrieren lassen.“ Kein offizieller Händler, keine Messe oder Auktionshaus wird sich daran die Finger verbrennen.

War es eine „dumme Aktion“ von Kriminellen, wie Kunstkenner und Sicherheitsexperten meinen oder ein Auftragsraub? Die Polizei schließt nicht aus, dass die Diebe mit einer „Einkaufsliste“ kamen. Das sei Spekulation, wehrt die Direktorin der Kunsthalle ab. „Aber sie wussten verdammt gut, was sie von den Wänden nahmen.“

Experten halten es aber für einen Mythos, dass irgendein reicher Ölscheich Diebe los schickt, um sich einen gestohlenen Picasso in den Keller zu hängen. „Das ist Hollywood“, meint Marinello. Dafür habe es noch nie einen Beweis gegeben.

Der Sicherheitsberater niederländischer Museen, Ton Cremers, denkt eher an Art-Napping, eine Art Entführung. „Nur Versicherungen kaufen gestohlene Kunst.“ Die Diebe könnten Lösegeld fordern. Doch auch solche Fälle werden nicht bekannt. Das ist verständlich, denn Versicherungen schließen solche Deals lieber im Verborgenen.

Fragen werden aber auch an die Kunsthalle selbst gestellt. Die Sicherheitsmaßnahmen reichten nicht aus, sagt Cremers. „Die Kunsthalle hätte mehr tun können.“ Nachts war die kostbare Sammlung nur mit Kameras und Alarmanlage geschützt. Doch auch der Sicherheitsexperte der großen niederländischen Museen weiß: „Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht.“

Gerade die Rotterdamer Kunsthalle ist „eine Katastrophe für die Sicherheit“, betont Cremers. Eines der geraubten Kunstwerke, 'Das Lesende Mädchen' von Henri Matisse, hing direkt hinter der grossen Glasfront. Jeder konnte es von außen sehen.

Die Direktorin Ansenk weist die Kritik zurück. „Wir erfüllen alle internationale Normen“, sagt sie. Und die Offenheit des Gebäudes mache gerade seinen großen Charme aus.

Die breite Glasfront macht den Westgiebel des Museums zu einer Art gigantischem Schaufenster. Das war auch die Absicht des weltberühmten Architekten Rem Koolhaas, der das Gebäude 1992 entwarf. Es gilt als ein Juwel der internationalen Architektur. Stolz wollte die Kunsthalle nun ihren 20. Geburtstag feiern mit den Spitzenwerken der privaten Triton Sammlung für moderne Kunst, von der bisher noch nie zuvor so viele Stücke in einer Ausstellung zu sehen waren.

Einen Tag nach dem spektakulären Raub ist das Museum wieder geöffnet. Spaziergänger im Rotterdamer Museumspark schauen neugierig durch die Glasfront. Die Spuren des Raubes sind beseitigt. An den leeren Stellen an den Wänden hängen andere Gemälde.

Die Kunsthalle und auch die Eigentümer der Bilder müssen das Schlimmste befürchten. Viele gestohlenen Kunstwerke tauchen nie wieder auf. „Sie verschwinden oder kursieren in der Unterwelt als Bezahlung“, sagt der Direktor der Datenbank Marinello. Er hofft auf einen Erfolg der Polizei. „Entweder sie haben schnell Erfolg, oder sie verschwinden für Jahrzehnte, vielleicht für eine ganze Generation.“

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