Gerhard Richter stellt Werkschau in Berlin vor

Berlin (dpa) - Als hätte ihn sein 80. Geburtstag altersmilde gestimmt: Einen Tag nach seinem runden Jubiläum hat der sonst so publikumsscheue Maler Gerhard Richter gut gelaunt und aufgekratzt seine große Werkschau in Berlin vorgestellt.

Obwohl ein Pulk von Journalisten ihn bedrängte, als ginge es um den nur wenige hundert Meter entfernten Berlinale-Stargast Angelina Jolie, behielt der kleine graue Herr am Donnerstag die Nerven. „Wir wollten das Spannendste zeigen“, sagte er bescheiden. „Wir haben unser Bestes versucht.“

In dem spektakulären Gebäude der Neuen Nationalgalerie von Mies van der Rohe sind von Sonntag an 130 Werke und fünf Skulpturen Richters aus allen Schaffensperioden zu sehen - neben Ikonen der modernen Malerei wie „Betty“ (1988) oder die „Lesende“ (1994) auch viele abstrakte oder unbekannte Arbeiten. Der bedächtige Museen-Generaldirektor Michael Eissenhauer brach schier in Jubel aus: „Es ist cool, es ist super, es ist hinreißend - eine wunderschöne Ausstellung! Der eigentlich zu Beschenkende hat uns beschenkt.“

Bewusst haben die Kuratoren das Werk in einen Dialog mit Rohes lichtdurchflutetem „Tempel für die Kunst“ gesetzt: Den Besucher empfängt zunächst auf einer riesigen Querwand das erst wenige Monate alte Digitalbild „Strip“, um den folgenden Rundgang in der Gegenwart zu verankern. Die übrigen Bilder sind chronologisch geordnet, angefangen beim erstdatierten Werk „Stuhl“ (1962). „Wir haben sie so gehängt, dass die Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit dieses Werks sofort sichtbar wird“, sagt Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann.

So steht denn Abstraktes neben Konkretem, Großes neben Kleinem, Lautes neben Leisem - und macht gerade dadurch die innere Spannung deutlich. Auf das fast romantisch anmutende Wiesental folgt eine riesige Farbfläche in wütendem Rot, eine der berühmten „Kerzen“, kürzlich für 12 Millionen Euro verkauft, korrespondiert mit einem expressionistischen Rakelbild. Und das Triptychon der federleichten Wolkenträume ist so übereinandergehängt, als reiche es bis fast zum Himmel.

Bei der Auswahl und Zusammenstellung hat Richter, der schon zu Lebzeiten als „Picasso des 21. Jahrhunderts“ gehandelt wird, entscheidend mitgeredet. „Das ist wie ein neues Werk“, sagt er. Beteiligt waren auch die Londoner Tate Modern und das Centre Pompidou in Paris, wo die Ausstellung im Anschluss hinwandern soll.

Nur von einem soll an diesem Tag in Berlin nicht die Rede sein. „Vermeiden Sie auf jeden Fall Fragen zu Preisen und dem Kunstmarkt“, empfiehlt Hausherr Kittelmann den Journalisten. „Ich kann Ihnen Gerhard Richters Antwort schon vorweg geben: "Das ist absurd."“

Selbst der RAF-Zyklus „18. Oktober 1977“, das umstrittenste Werk des Künstlers, ist in Berlin zu sehen - allerdings nicht in der Neuen, sondern in der Alten Nationalgalerie. Elf Jahre nach der „Todesnacht von Stammheim“, als die Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in ihren Zellen Selbstmord begingen, hatte Richter die düsteren Geschehnisse des Deutschen Herbstes nochmal aufgegriffen.

Dass die 15 Bilder nun im Schinkel-Saal inmitten alter Meister zu sehen sind, stört den Künstler nicht. „Eigentlich bin ich dagegen, moderne Werke in den Louvre zu hängen. Aber das ist ein Experiment.“ Daneben gibt es in der Berliner Galerie Me Collectors Room zeitgleich noch eine Schau mit etwa 150 Auflagenwerken Richters, vor allem Druckgrafiken, Fotos, Künstlerbücher und Plakate, die oft einen wunderbaren Bogen zu den Unikaten schlagen.

Ob der Maler sich nicht langsam im Herbst seines Schaffens fühle, wollte ein Journalist wissen. Richter kichert und meint zunächst, dann male er halt nur noch ganz kleine Bilder. Am Schluss wirkt er fast gerührt. „Ich muss mich bedanken“, sagt er leise in seinem Kölner Dialekt. „Eigentlich is' das ja 'ne tolle Sache, dass Sie alle gekommen sind.“

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