Der ganze Gursky muss es sein

In den Krefelder Museen Haus Lange und Haus Esters sind ab Sonntag 150 Arbeiten des Meisters der Fotografie zu sehen.

Krefeld. Vielleicht ist es auch Dankbarkeit, die Andreas Gursky dazu veranlasste, einen ganz neuen Aspekt seines künstlerischen Werks zum ersten Mal in Krefeld auszustellen. Hier nahm vor fast 20 Jahren die Karriere des weltberühmten Fotokünstlers mit einer Ausstellung im Museum Haus Lange ihren Anfang. Nun hat er gleich auch das Museum Haus Esters nebenan, ebenfalls von Mies van der Rohe erbaut, mit Arbeiten belegt. Es sind mehr als 150 Werke zu sehen

150 dieser bekannten, oft so riesenformatigen Fotos in zwei Villen? Das ist auch für Kenner kaum vorstellbar. Gursky hat das auf den ersten Blick geradezu halsbrecherische Wagnis unternommen und den überwiegenden Teil seiner großen Arbeiten in einem stark verkleinerten, fast handlichen, in eine Mappe passenden Format noch einmal neu abgezogen.

Der Besucher reagiert auf diese ins Minimale führende Menge erst einmal düpiert. Kennt er doch nur die großen Fotografien. Allerdings: Das von Anfang an - in immerhin 28 Jahren - enzyklopädisch angelegte Oeuvre, das die ganze Welt zu umfassen scheint und deren Realitäten hintergründig definiert, wird mit einem Mal handlich und übersichtlich, sicherlich auch für den Künstler selbst.

Von Bild zu Bild schreitend, nimmt man die übergreifenden Strukturen wahr und spürt, wie sich aus der Menge ein einziges großes Mosaik bildet. Gurskys riskante Probe aufs Exempel scheint gelungen zu sein. Der ganze Gursky ist es, den man mit einem Mal sieht.

Aus den kleinen Formaten lassen sich unterschiedliche Gruppierungen herauslesen. Wobei vor allem Gurskys ausgeprägtes Interesse an abstrakten Formen deutlich wird. Da gerät etwa das Luftbild vom neuen Formel-1-Kurs in Bahrain mitten in der Wüste zu einem fast malerischen Abstraktum, die Menschenmassen-Aufmärsche in Korea zu einem minimalistischen Pandämonium und der Rhein zu einer Farbfeldmalerei.

Gursky lädt seine Bilder mit inneren Befindlichkeiten auf, mit den Sehnsüchten der Menschen etwa, und alsbald spürt man, wie er auch den allmählichen Wandel der Lebenswelten dingfest macht: Hier die Börse in Hongkong, dort der Hühnerhof am Niederrhein, die exotisch exklusive, gleichwohl öde Wohnanlage "Jumeirah Palms" oder das ältere Ehepaar, das in irgendeiner Reihensiedlung das neue Häuschen umschreitet.

Es sind Bilder der Leere und der Fülle zugleich, die die gesellschaftlichen Strukturen beinahe unmerklich kritisch aufzeigen. Das vermeintlich Kleine wird plötzlich groß, das Große und Hypertrophe gerät zur Kleinigkeit, ohne allerdings zu denunzieren.

Andreas Gursky ist durch die Welt gekommen, hat die diversen Orte immer wieder aufgesucht, die Flughäfen und Siedlungen, hat die Szenen oft auch digital aufbereitet, etwa den hektischen Wirbel seines "Boxen-Stop" bei einem Formel-1-Rennen. Mit diesem - einem der wenigen großen Fotos im Haus Esters - hat er dem Vorgang ein ewig gültiges Denkmal gesetzt.

Wunderbar auch das große Werk "Kathedrale I" mit dem schwarz-weißen Filigran des gotischen Fenster-Ensembles. Es handelt sich offenbar um eine Düsseldorfer Kirche. Gursky hat die Pfeiler gelöscht, die Fenster zu einem einzigen Ornament zusammengesetzt. Unten rechts ist ein Kamerateam tätig. Wim Wenders drehte. Die Fotografie wirkt wie das Urbild einer Kirche. Gursky ist der große Verdichter.

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